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075 – „Weggesperrt“ von Thomas Galli
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Wie in der letzten Episode geht es auch diesmal in einen Bereich der Gesellschaft, der kaum öffentlich diskutiert wird.
In „Weggesperrt“ kritisiert Thomas Galli die Ineffektivität des Strafvollzugs. Er beleuchtet die Hintergründe des Strafens und die gesellschaftlichen Mechanismen dahinter und argumentiert, dass Strafen eher symbolische, denn praktische Funktionen haben. Galli argumentiert, dass Haftstrafen oft keine Resozialisierung bewirken, hohe Rückfallquoten zeigen und oft zu einer Verschärfung der sozialen Probleme führen. Deswegen fordert er eine Neuausrichtung des Strafsystems hin zu präventiven und resozialisierenden Maßnahmen, wie gemeinnütziger Arbeit und therapeutischen Ansätzen, anstatt bloßer Inhaftierung, um langfristig eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen.
Shownotes
- Buch: Weggesperrt von Thomas Galli
- Buch: Quellcodekritik von Hannes Bajohr und Markus Krajewski
- Judith Shklar (Wikipedia)
- Frank Urbaniok (Wikipedia)
- Buch: Das Böse von Luke Russell
- Buch: Über das Böse von Hannah Arendt
- Buch: Verbrechen und Strafe von Fjodor Dostojewski (in der Übersetzung von Swetlana Geier)
- Buch: Der Prozess von Franz Kafka
- Buch: Überwachen und Strafen von Michel Foucault
- Buch: Asyle von Erving Goffman
- Artikel: „The Miseducation of the American Boy“ von Peggy Orenstein
- ZZD010: „Die Ordnung des Terrors“ von Wolfgang Sofsky
- ZZD036: „Inklusion und Exklusion“ von Rudolf Stichweh
- ZZD069: „Wie Gefühle entstehen“ von Lisa Feldman Barrett
- ZZD075: „Im Minus-Bereich“ von Jana Costas
Quellen und so
Intro und Outro der Episode stammen aus dem Stück Maxixe von Agustin Barrios Mangore, eingespielt von Edson Lopes (CC-BY).
Das Umblättern zwischen den Teilen des Podcasts kommt hingegen von hoerspielbox.de.
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Transkript (automatisch erzeugt)
Einstieg
[0:15]Hallo und herzlich willkommen zu Episode 75 von Zwischen zwei Deckeln. Wir machen heute das Dreivierteljahrhundert sozusagen voll mit unserem Podcast, dem Sachbuch-Podcast, in dem wir alle drei Wochen euch ein Sachbuch vorstellen. Mein Name ist Nils und ich habe heute Amanda dabei. Hallo. Genau, und Amanda wird uns gleich ein spannendes Buch vorstellen, wo wir schon gerade überlegt haben, dass wir gar nicht so viele Bezüge zu den Themen haben, die wir bisher in unserem Podcast besprochen haben. Obwohl es eigentlich ein gar nicht so fernliegendes Thema ist. Aber dazu später mehr.
[0:50]Ich bin gerade dabei, ja, so ein bisschen zu überlegen, was so ein Thema sein könnte, in das ich mich jetzt ein bisschen tiefer einfuchse, wie ich das ja letztes Jahr mal so ein bisschen gemacht habe mit dem ganzen Thema Intelligenz, Menschen und so weiter. Mal gucken, was das wird. Was ich gerade auf jeden Fall als Buch lese, ist Horizons von James Poskett, heißt er, glaube ich. Das ist so ein Versuch, eine Wissenschaftsgeschichte zu erzählen, die nicht nur eurozentrisch ist. Und die auch nicht nur so klassisch sagt, ja, es gab mal irgendwie die islamischen Wissenschaftszentren und irgendwann haben die Chinesen auch mal Schießpulver erfunden. Sondern tatsächlich so ein bisschen mehr so die Interaktion und die Prägung der europäischen Wissenschaft durch. wo ich, in dem Fall ist es jetzt gerade tatsächlich ganz viel die nativ-amerikanische Kultur und Wissenschaft. Das ist gerade ganz großes Thema. Aber ich vermute, es wird auch noch Afrika, Asien, das wird auch noch alles ein bisschen reinkommen. Zu seinen Argumenten hat er mich noch nicht hundertprozentig überzeugt, aber es ist auf jeden Fall sehr, sehr spannend zu lesen.
[1:51]Cool, ja, das klingt auch nach einem Buch, das man vorstellen könnte. Ja, ich vermute es auch, wenn es irgendwie noch so ein bisschen argumentative Substanz ein bisschen mehr kriegt. Okay. Aber ich glaube auch, dass das vermutlich hier im Podcast landen wird, wenn ich es schnell genug gelesen kriege, bis zu meinem nächsten Slot sozusagen. Was beschäftigt dich denn gerade außer dem Buch, was du uns heute vorstellst? Also ich habe mir vor ein paar Tagen ein Buch per Zufall gekauft, also wieder besseren Wissens, weil ich eigentlich keine Bücher kaufen sollte im Moment, eines gekauft, das heißt Quellcode-Kritik zur Philologie von Algorithmen. Und das finde ich natürlich sehr spannend, weil das genau diese Schnittstelle ist, die mich sehr interessiert als Informatikerin, natürlich Quellcode generell, aber jetzt so die Verbindung auch, wie man das, literarisch lesen kann oder interpretieren kann oder analysieren kann und ich bin ganz gespannt. Ich habe noch nicht, ich habe noch nicht drin gelesen, aber da freue ich mich echt drauf, bin gespannt. Hannes Bajor hat das geschrieben, ich weiß nicht, ob du ihn kennst, ist ein Literaturwissenschaftler, ich glaube, er Er lehrt hier irgendwo in der Schweiz. Er hat auch Judith Schklar übersetzt. Ist das bekannt vielleicht?
[3:07]Ja, auf jeden Fall. Ich bin gespannt. Ja, das klingt nach einem sehr spannenden Themenansatz sozusagen. Was er da so an Ansätzen entwickelt. Auch da würde ich mich zumindest über ein paar Impulse hier im Podcast freuen, glaube ich. Ja, mal schauen, ob da genug Fleisch am Knochen ist. Genau, das ist ja immer die Gefahr. Dass so eine Prämisse zwar irgendwie spannend auch zu lesen ist durchaus, aber dass man jetzt nicht so richtig so eine Episode daraus gestrickt kriegt, wie wir das ja hier dann doch auch brauchen. Ja, sehr schön. Du hast uns heute ein bisschen was Pragmatischeres mitgebracht. Ein Buch mit dem schönen Titel Weggesperrt von Thomas Galli. Das ist ein deutscher Jurist und Autor. Du sagtest, er hätte auch mal eine Strafvollzugsanstalt geleitet. Und das ist tatsächlich auch, wenn ich dich gerade richtig verstanden habe, das Thema des Buchs, das 2020 bei der Edition Körper erschienen ist. Ja, möchtest du uns kurz das TLDL vorstellen? stellen. Klar.
[4:06]
tl;dl
[4:10]Im Buch Weggesperrt – Warum Gefängnisse niemandem nützen, kritisiert der Autor und Jurist Thomas Galli den aktuellen Strafvollzug und argumentiert, dass Haftstrafen vor allem symbolische Wirkung haben und das Ziel von Resozialisierung und Prävention oft verfehlen. In seiner Streitschrift fordert er einen weitgehenden Verzicht auf Haftstrafen und diskutiert mögliche Alternativen. Vielen Dank.
[4:36]
Buchvorstellung
[4:37]Auch ein Thema, was immer mal wieder aufploppt. Interessanterweise erlebe ich das viel mehr im US-amerikanischen Diskurs als jetzt im deutschsprachigen. Also da kennt man das als Thema Defund the Police und dieser ganze Diskussionsstrang. Aber ich bin gespannt, was es da zu Deutschland zuzusagen gibt.
[4:56]Ja, du hast schon gesagt, das Buch ist ein bisschen älter, also 2020 ist das erschienen und bezieht sich sehr stark auf Deutschland. Also es ist wirklich, wie gesagt, er hat eine Justizvollzuganstalt in Deutschland geleitet und plaudert auch so ein bisschen, ich sag mal aus dem Nähkästchen, was da so passiert und wie das so organisiert ist. Es ist also kein theoretisches Buch. Es geht nicht soziologisch oder psychologisch in die Tiefe, liest sich aber sehr einfach. Und ich finde schon, dass es durchaus sehr anregende Stellen drin hat, die man sich halt einfach nicht so überlegt, weil das Thema einfach, das ist halt einfach nicht so breit diskutiert. Also man stellt es nicht unbedingt in Frage, so ganz konkret oder ganz grundsätzlich, sage ich mal, Man hört immer von einzelnen Beispielen und so und was da gut läuft oder was schlecht läuft, aber nicht so die ganz generelle Frage nach dem Gefängnis.
[5:57]Und ich bin drauf gekommen, in der letzten Folge habe ich schon mit Christoph drüber gesprochen, dass ich eigentlich das Buch von Foucault lesen möchte über Gefängnisse, also über Strafen und so weiter. Ich habe es immer noch nicht gelesen, aber bin dann über Umwege da drauf gestoßen und dachte, das könnte vielleicht auch interessant sein. Ein etwas praktischerer Ansatz als vor Kofen.
[6:45]Weniger als du hast vorhin die USA erwähnt. Dort sind es viel mehr, also fast zehnmal mehr in Bezug auf die Bevölkerung. Also pro 100.000 sind es in Deutschland circa 70. Und eben in den USA fast zehnmal mehr. Und ja, das finde ich schon auch noch krass, wenn man sich die relative Zahl anhört. Aber nur 11 Prozent dieser Inhaftierten haben ein Haftdauer von mehr als fünf Jahren. Das ist jetzt in Deutschland wieder. Das ist in Deutschland, genau. Und die Delikte sind vor allen Dingen eigentlich Diebstahl und Unterschlagung, Betrug und Untreue und dann Eigentums- und Vermögensdelikten. Die machen fast die Hälfte aus. Und Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung machen circa 6% aus und gegen das Leben circa 7%.
[7:39]Das sind erstaunlich geringe Anteile, also gerade, dass der Anteil sexueller Straftaten irgendwie kleiner ist, als der, die irgendwie Tötungsdelikte sind ja wahrscheinlich Straftaten gegen das Leben oder Versuch. Hätte ich auch gesagt, ja. Das finde ich krass, vermutlich wegen der Dunkelziffer und der schlechten Bestrafung dieser Straftaten, aber ja, krasse Zahl. Ja, genau, ja, sagt er auch, dass natürlich insbesondere sexuelle Straftaten sehr, dass es da eine sehr, sehr hohe Dunkelziffer gibt. Das sind jetzt einfach die, die natürlich dann auch deswegen angeklagt und in Haft sitzen. Das Buch ist durchgehend in der männlichen Form geschrieben. Ich nehme an, mitunter deswegen, weil nur sechs Prozent der Inhaftierten sind Frauen. Wow, okay, krass. Also nicht viele. Und ja, deswegen wird da, da wird nicht gegendert in dem Buch. Ja, es ist halt offensichtlich schon eine Tatsache, dass das nicht, ja nicht gerecht ist das falsche Wort, aber nicht egalitär oder verteilt ist. Nicht gleich verteilt. Nicht gleich verteilt, ganz genau.
[8:50]So, er sagt dann oder er fängt ein bisschen damit an, warum wir überhaupt strafen. Er sagt ja ganz grundsätzlich haben wir ein Vergeltungsbedürfnis. Das heißt, wir möchten eigentlich, dass eine Person bestraft wird, wenn sie etwas Unerlaubtes tut. Das sei zu einem gewissen Teil angeboren, ist aber auch zu einem großen Teil kulturell geprägt. Richtig. Und was wir dann im Verlauf oder im Zuge der Zivilisation sozusagen gemacht haben, ist, dass wir diese Bestrafung an den Staat delegiert haben. Und seither ist es nicht mehr nur so eine direkte Aggression eigentlich, sondern es hat eben auch symbolische und kommunikative und eine pädagogische Funktion. Also dem Bestraften soll einerseits vermittelt werden, dass sein Verhalten falsch war. Aber der Gesellschaft soll auch gezeigt werden, dass man das wie nicht akzeptiert, dass nicht jeder oder jede alles tun darf. Und der Bestrafte soll auch gleichzeitig gebessert oder geläutert werden.
[9:59]Zu Beginn ging es wohl, also das Gefängnis an und für sich gibt es nicht seit jeher. Also das ist was, das erst in den letzten Jahrhunderten so aufgekommen ist, in der Form, wie wir es jetzt heute kennen. Und früher waren das Zuchthäuser, wo es vor allen Dingen um Arbeit eigentlich ging. Ich glaube, für Frauen waren das auch Spinnhäuser oder Spinnereien, nannte man das. Und da sind vor allen Dingen auch Personen da, die obdachlos waren oder sonst mittellos, die dann da untergebracht worden sind. Eine ganz enge Verzahnung auch von sozialem Status und Strafe, wenn du sagst, dass das irgendwie gleichzeitig armen oder obdachlosen Unterkünfte und Zuchthäuser waren. Ja, total. Und das ist auch etwas, auf was er später eingeht, weil das natürlich immer noch der Fall ist. Diese Verzahnung von Milieu und sozialem Status ist leider immer noch sehr, sehr, sehr, sehr krass. Ja.
[11:04]Der Grund, warum man dann Gefängnisse in der Form aufgestellt hat, wie wir sie heute haben, hat insbesondere gemäß Gali eigentlich finanzielle Gründe. Man kann einfach viele Menschen bürokratisch so besser verwalten. Deswegen sperrt man die halt alle zusammen irgendwo weg. Und seine Hauptkritik ist eigentlich daran oder äußert er so, dass man ganz viele Rechtfertigungsgründe für das Gefängnis eigentlich ex post macht. Also wie nachträglich sagt man ja, das dient der Resozialisierung oder die Strafe dient der Resozialisierung. Das ist so ein Kritikpunkt, wo er einfach sagt, das findet nicht statt. Also du wirst im Gefängnis schlicht nicht resozialisiert.
[11:54]Und da führt er eine ganze Reihe an Argumenten an, warum das nicht passiert. Also das eine ist, dass es, man weiß ja gar nicht unbedingt, was Resozialisierung überhaupt heißt, er wirft diese Frage nicht direkt auf oder beantwortet sie auch nicht, aber ganz grundsätzlich spricht man oder nimmt immer so als Proxy die Rückfallquote an. Und das, also dazu gibt es einfach keine verlässlichen Daten, sagt er jetzt zum Beispiel in Deutschland. Also man kann nicht wirklich sagen, ob eine Haft irgendwie rückfallfördernd sogar wirkt oder ob sie Rückfälle verhindert. Und genauso wenig kannst du natürlich sagen, wenn du jemanden nicht einsperrst, ob das jetzt irgendwie besser oder schlechter ist. Es ist einfach sehr schwierig zu erheben, weil du natürlich auch nicht Kontrollgruppen irgendwie aufsetzen kannst.
[12:48]Genauso sagt er auch, dass weniger Rückfälle nicht unbedingt heißt, dass die Resozialisierung jetzt gelungen ist. Also es sei einfach auch schwierig, die negativen Folgen jetzt unabhängig vom Rückfall mit Daten zu unterlegen. Deswegen ist diese ganze Diskussion einfach sehr, ja ich sag mal, die Daten, die man hat, die kann man auf ganz verschiedene Art und Weisen natürlich auslegen. Und er meint auch, das wird sehr oft, insbesondere für den politischen Wahlkampf dann auch verwendet. Also diese Zahlen, die sind nicht unbedingt belastbar, ich sage mal in einem wissenschaftlichen Sinne. Aber es sind die besten, die wir haben vermutlich. Ja, genau, genau. Und trotzdem macht er das dann auch wieder. Also später im Buch dann argumentiert er trotzdem auch wieder mit Rückfall oder nicht Rückfall, wenn er die Alternativen aufzeigt. Also ich glaube, ja, man kann halt, es ist halt einfach eine Zahl, die irgendwie relevant ist in diesem Thema.
[13:47]Was er sagt ist, dass es einen großen Widerspruch eigentlich gibt, weil durch die Haft schließt du einen Bestraften oder eine Bestrafte aus der Gesellschaft aus und versuchst ihn oder sie gleichzeitig wieder zu resozialisieren. Also eigentlich die Person wieder in die Gesellschaft zurückzubringen und das klappt halt irgendwie nicht gleichzeitig. Ja. Und da sagt er, es ist schwierig und wenn da dieser Widerspruch besteht, setzt sich am Ende eigentlich die Vergeltung durch. Mhm.
[14:39]Keine Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen. Es wird für sie alles entschieden. Also du kannst, ja, es ist einfach von A bis Z alles durchbürokratisiert, wie viele Unterhosen du besitzen darfst, wo du wann, wie lange dich aufhalten darfst und so weiter. Also du hast keine Chance eigentlich, das zu lernen, was du bräuchtest, wenn du in Freiheit bist. Also zu lernen, zum Beispiel eine Entscheidung oder eine richtige oder auch eine falsche Entscheidung zu treffen. Oder insbesondere halt eben wirklich auch Verantwortung zu übernehmen, sei es für eine andere Person, sei es für irgendetwas, was man tut. Also du wirst eigentlich in der Haft komplett von dem entlastet oder entbunden. Und das ist eigentlich ein riesiges Problem. Und das finde ich total einleuchtend natürlich. Ja, klingt sehr logisch.
[15:38]Er sagt auch, es führt Gefängnisse für nicht dazu, dass man sich mit seinen Problemen auseinandersetzt. Also auch aus dem gleichen Grund, weil es halt im Gefängnis diese Versuchung gar nicht gibt, sag ich mal. Die Versuchung jetzt für einen Täter, der häusliche Gewalt begangen hat. Wenn du keine Frau und kein Kind dort hast und nicht in dieser Umgebung bist, die dich emotional vielleicht zu so einer Tat bringen könnte, dann tust du das dort auch nicht. Aber wenn du dann zurückkommst in genau dieses Setting, dann, ja, dann passiert es vielleicht wieder. Dann besteht die Gefahr, ja. Ja. Also, dass er einfach sagt, ganz, ganz generell, dieses Setting von Haft hat einfach gar nichts mit, na ja, mit der Wirklichkeit zu tun. Auch die Tatsache, dass ein Insasse nie, also während der Haft eigentlich nie ohne Aufsicht die Anstalt verlassen kann. Zum Beispiel sei es für ein Bewerbungsgespräch oder sei es für eine Wohnungsbesichtigung. Also die werden einfach nonstop begleitet. Macht natürlich zum gewissen Teil auch Sinn. Aber trotzdem ist das natürlich ein krasses Stigma. Es ist einfach extrem schwierig, dann einen Job zu kriegen oder eben eine Wohnung.
[17:03]Und auch hier wieder dieses Entbinden von Verantwortung. Also du kannst gar keine Verantwortung für dich selbst auch übernehmen. Ja.
[17:41]Einfach ruhig bleibt und aus diesem Grund werden auch sehr viele Anträge schlicht nicht bewilligt und auch viele Lockerungen eigentlich nicht gewährt. Er nennt dann ein Beispiel, das fand ich ganz interessant, da ging es um eine Person, die, ich weiß gar nicht, warum sie in Haft war, aber die ist dann, die hat dann eine Lockerung gekriegt und ist geflüchtet und hat dann auf der Flucht ein Auto gestohlen und ist mit diesem Auto vor einer Polizeikontrolle davon gefahren. Und dabei ist er dann auf die Gegenfahrbahn gekommen und hat eine 20-jährige Lenkering auf der anderen Fahrbahn angefahren und diese ist dann auch gestorben. Und ja, das war dann natürlich ein Riesenskandal, weil er ist halt aus der Haft geflüchtet. Und die Justizbediensteten, die diese Lockerung gewährt haben, die wurden dann auch angeklagt. Und zwar wegen fahrlässiger Tötung und hätten dann auch sozusagen eine Haftstrafe verbüßen müssen. Das wurde dann aber von einer höheren Instanz schließlich wieder aufgehoben, aber hatte schon auch eine starke Symbolwirkung, wenn man das hört. Wann wäre gewährt dann noch irgendwelche Lockerungen oder, ja. Ja. Genau.
[19:09]Das finde ich einleuchtend. Was er aber dann sagt, finde ich eigentlich das Interessante. Er sagt, ja, diese Justizbediensteten hätte niemand angegriffen, wenn dieser Unfall kurz nach der Haft passiert wäre. Also dieser Skandal wurde nur zum Skandal, weil er während der Haft stattgefunden hat. Ja, klar. Und das, sagt er, ist auch auch so ein bisschen, ich sag mal, die Datenlücke. Also es ist wie alles, was während der Haft ist, ist so ganz krass kontrolliert und ja, da schaut man drauf und das muss dann, das kann dann auch politisch irgendwie ausgeschlachtet werden und alles, was danach passiert, ist wie, da ist man so ein bisschen blind. Okay, man hat vielleicht einen Rückfall, aber auch, was heißt Rückfall? Oder also wenn, ich kann keine Ahnung, wenn du jemanden umgebracht hast und nachher stielst du irgendwie eine Cola, dann ist das vielleicht schon ein Rückfall, aber nicht, also das ist natürlich nicht vergleichbar. Schon was anderes, ja. Genau. Und ja, das sagt ja, das ist natürlich ja, ist problematisch, dass man das so, so sieht.
[20:19]Ein weiterer Punkt, den er erwähnt, ist, dass viele Personen, eigentlich ist das selbstverständlich, wenn du in Haft musst, insbesondere für längere Zeit, verliest du deinen Job. Und das ist insbesondere dann ein Problem, wenn deine Haft eigentlich nicht, ich sage mal, ein paar Monate dauert und du aber deinen Job in dieser Zeit nicht nachkennen kannst und dann den verloren hast, dass das natürlich auch extrem schwierig ist für die Resozialisierung. Also du nimmst eigentlich die Person aus ihrem Umfeld raus und dann wirst du sie sozusagen wieder daheim. Aber sie hat dann Bruchstücke von dem vorherigen Leben, das sie zusammensuchen muss. Ja. Und da finde ich auch, ja, das ist zu rechten ein sehr gutes Argument, weil er sagt dann auch, ja, wenn man wirklich dieses Ziel der Resozialisierung vor Augen hätte, dann würde man das nicht so machen, dann würdest du eigentlich das fördern, was die Wiedereingliederung wirklich ermöglicht oder zumindest nicht eine weitere Desozialisierung zu einer Desozialisierung führt. Ja.
[21:30]Ja, das sind so die Gründe, warum man sagt, Resozialisierung ist eigentlich nicht unbedingt gewährleistet. Gleichzeitig sagt auch ganz einfach die Haft, das ist nicht menschenwürdig. Also einerseits, wie sie wohnen in dieser kleinen Zelle, sagt man jetzt auch nicht mehr. Er sagt auch, viele Begriffe sind zum Beispiel einfach beschönigt worden. Also man sagt eben nicht mehr Zelle, sondern ich glaube Haftraum. Und Gefangene sagt man auch nicht mehr, sondern das sind jetzt Insassen. Und zum Beispiel in Dänemark spricht man von der Kriminalfürsorge. Also das hat man auch dort ein bisschen umformuliert. Aber gelten die nordischen Staaten nicht eigentlich so als Musterbeispiel, wie man das machen kann? Doch, total. Also einfach nur zur Einordnung. Also vielleicht ist da die Beschönigung ein bisschen berechtigter als bei uns. Genau. Nee, nee, das stimmt. Das sind tatsächlich die Vorbildstaaten. Aber ich finde es einfach Kriminalfürsorge. Auf Deutsch, vielleicht klingt das auf Dänisch ein bisschen anders. Auf Deutsch klingt das irgendwie schräg.
[22:43]Ja, aber eben, da sagt er auch, es ist halt wie so, man versucht das halt auch zu beschönigen und das spielt auch wieder da mit. Also eigentlich bestraft man, man übt Vergeltung, also man übt eigentlich Gewalt an Menschen, aber man macht, ich sag mal, man streicht das rosa an und sagt, ja, aber eigentlich resozialisieren wir ja. Aber das klappt halt eben leider nicht wirklich.
[23:09]Wie gesagt, mitunter auch, weil es menschenunwürdig ist, zum Beispiel die Zwangsarbeit. Es gibt eigentlich keinen Grund, warum Leute zwangsarbeiten müssten. Er sagt, der Grund ist, dass es halt einfach Ruhe und Ordnung gewahrt wird. Die Leute sind beschäftigt. Zwangsarbeit im Gefängnis ist sehr schlecht bezahlt. Das ist zwischen 1 bis 3 Euro, glaube ich. ist nicht rentenversichert. Ja, okay. Und ich bin jetzt, es steht nicht hier im Buch, ich glaube, vor ein paar Jahren hatte ich mal einen Artikel gelesen, wo es, ich glaube, um Autoschrauben oder sowas ging. Also deutsche Firmen profitieren auch durchaus von diesen billigen Arbeitskräften. Und ist aber nicht, wohl nicht so schlimm wie in den USA. Dort ist es ja auch, sind die Gefängnisse auch privat und müssen dann gewinnorientiert bewirtschaftet werden, sozusagen. Wow, alleine schon der Gedanke irgendwie an bewirtschaften. Also das ist irgendwie, ja.
[24:17]Ja, es ist schon schräg. Also ich konnte das auch nicht im Kopf zusammenbringen. Also wie du eine Institution, in der du Menschen einsperrst und dass das irgendwie gewinnbringend verwaltet werden kann, das geht mir irgendwie nicht in den Kopf. Kosten senken halt, ne? Ja, ich weiß nicht. Auf jeden Fall, klar, sagt auch diese Kosten, also diese Ressourcen, die aufgewendet werden, 80 Prozent davon fließen eben nicht in diese Resozialisierung, sondern in die Sicherung, Kontrolle, Disziplinierung, Verwaltung und so weiter. Also nicht in die Dinge. Und er sagt dann so irgendwo ganz provokativ auch, Man könnte die Gefängnisse, die Insassene auch wegnehmen aus den Gefängnissen und die Justizbeamten wären dann noch eine gute Weile mit sich selbst beschäftigt, ohne dass sie es merken würden.
[25:17]Ja, aber klar, das Bürokratie-Argument, das kann man natürlich in sehr vielen staatlichen Betrieben so anführen. Anführen. Ganz grundsätzlich sagt er aber schon, es funktioniert auch sehr gut. Also diese Infrastruktur, die geschaffen ist, das klappt eigentlich soweit und das benutzt er dann nachher auch als Argument, um zu sagen, ja, auch wenn wir das ändern, wir haben ja eigentlich die Grundlagen schon alle geschaffen. Also es gibt die Leute, die gut ausgebildet sind, die ihren Job größtenteils sehr gut machen und das, ja, da ist er eigentlich nicht auch sehr, sehr wohlwollend diesen Menschen gegenüber. Also er hängt das jetzt nicht an den Mitarbeitenden im System sozusagen auf, sondern tatsächlich an den Strukturen. Das macht mir das Denken ja sehr sympathisch. Ja, ja, ja, total. Also das macht er wirklich gar nicht.
[26:10]Ja, er sagt so noch als letzter Punkt, wenn es darum geht, Resozialisierung, das ist ja auch, ich sage mal im Volksmund sehr oft mit diesen Gedanken an Therapie verbunden. Also dass man die irgendwie heilt oder zumindest betreut. Und er sagt, das ist natürlich im Grundsatz nicht schlecht, aber auch da ist der Erfolg sehr fraglich. Also einerseits fraglich, wenn man wirklich, sagen wir mal, schwere Straftaten therapieren möchte, aber auch weniger schwere Straftaten. Es ist halt, du sprichst dann einmal in der Woche irgendwie mit einer Therapeutin und ja, die Frage ist halt einfach, die meiste Zeit bist du halt unter anderen, alleine oder mit anderen Strafgefangenen. Gefangenen und diese, es ist ein bisschen ein Tropfen auf den heißen Stein. Und gleichzeitig ist es für ganz viele, zum Beispiel Lockerungen, eine Bedingung. Also keine Ahnung, der so und so hat erfolgreich an der Therapie teilgenommen und dann darf man und sonst darf man nicht. Und nach das sagt er, ist eher so die Symbolwirkung oder auch die Rechtfertigung des Gefängnisses, um zu sagen, hey, wir haben das probiert. Also wir haben für diese Person gesorgt, ihr das angeboten und nicht, also weniger, um wirklich unbedingt zu helfen.
[27:37]Ja, jetzt, er sagt auch, Gefängnisse, das ist ein Kapitel, das ist überschriftet mit Gefängnisse gefährden unsere Sicherheit und meint damit eigentlich, dass dieser, das Skandal eben des Ausbruchs zum Beispiel von einzelnen Gefangenen, was dann immer so ganz dankbar aufgenommen wird in den Medien, ist weniger gefährlich als einfach generell die hohe Rückfallquote. Ja, ja. Und das sagt halt eben, das führt wieder dazu, dass man den Fokus halt einfach viel mehr auf die Prävention auch verlagern muss und nicht einfach darauf, ja, irgendwelche Leute einzusperren und zu schauen, dass sie da nicht ausbrechen. Er sagt auch zum Beispiel, diese Sicherung, die funktioniert extrem gut. Es ist sehr, sehr selten, dass jemand ausbricht, auch zum Beispiel aus dem offenen Vollzug. Also da sind die Zahlen sehr klein von Personen, die nicht mehr zurückkehren. Also das sagt er mir so, das kann man sich wirklich auf die Fahnen schreiben, also die Sicherung, dass das klappt.
[28:46]Und gleichzeitig sind diese Strukturen natürlich auch orientiert an den gefährlichsten Gefangenen und ich habe zu Beginn gesagt, also fast die Hälfte ist irgendwie, Betrugsdelikte oder Vermögensdelikte sowas das ist halt die Frage, muss man diese Leute so einsperren und da werden natürlich dann alle sozusagen über einen Kamm geschert.
[29:12]Einerseits zu Recht, also du kannst du natürlich da nicht irgendwie Sonderbehandlungen machen. Und gleichzeitig ist es natürlich auch sehr, sehr ungerecht. Und er sagt auch, es gibt zwar keine Kollektivstrafen, aber natürlich leiden auch andere Insassen. Also wenn du irgendwie Mist baust im Gefängnis, dann haben die anderen indirekt durch die Folgen natürlich trotzdem auch zu leiden. Sei es wegen, weil was nicht mehr gewährt wird, weil Anträge abgelehnt werden und so weiter.
[29:41]Ja, ich finde ganz wichtig und das habe ich mir, also muss ich mir dann auch immer wieder vor Augen führen, ist, die meisten Gefangenen haben sehr, sehr viel mehr Zeit in Freiheit vor sich als in Gefangenschaft. Also es ist wirklich, die meisten kommen halt irgendwann wieder frei. Sei es noch auch schwere Straftäter, ja, sind meistens irgendwann wieder frei. Und es ist einfach, ja, seltsam so, wenn man sich denkt, okay, jemand ist ausgebrochen und dann besteht wie eine Gefahr oder es geht eine Gefahr von dieser Person aus. Ausgeklammert sind natürlich irgendwie, ich sag mal, Pädophile, Sexualstraftäter und so, die vielleicht, ja, die aus sehr niederen Motiven, sag ich mal, Strafen begangen haben. Und er sagt dann auch, er klammert die immer so ein bisschen weg. Aber die machen auch einen ganz kleinen Anteil aus. Aber die allermeisten, von denen geht ja nicht unbedingt eine Gefahr aus oder nicht mehr, wenn sie aus der Haft fliehen, als wenn sie sonst in Freiheit sind.
[30:47]Ja, das sind dann so Momente, wo die Kriminalität im Grunde ein Ausdruck von einer psychischen Erkrankung halt tatsächlich ist, irgendwie so ein unmittelbarer, die natürlich dann vermutlich auch nicht therapiert wird. Genau, ja, ich finde das interessant, weil er nennt das nicht psychische Erkrankung, aber sagt schon, dass sich das einfach sehr, sehr stark entfernt von, ich weiß nicht, ob er normalmenschlich oder irgendwie so Verhalten sagt. Also, dass du wirklich das nicht nachvollziehen kannst, wie das passiert. Und eben, also, dass dort würde er, also, ja, dort macht er auch eine Grenze, wie gesagt.
[31:24]Aber auch da sagt er, es ist eigentlich nicht, ja auch da ist die Haft, wie sie jetzt durchgeführt wird, eigentlich nicht sinnvoll. Also auch eine lebenslange Verwahrung sei mal dahingestellt, ob das überhaupt menschenwürdig ist, ob man das einfach als Staat so entscheiden kann. Aber auch das müsste anders gestaltet werden. Und wenn er so spricht, dann sagt er eben, das Gefängnis hat nicht nur eine Symbolwirkung für die Gesellschaft, also was machen wir oder wie strafen wir oder wie sperren wir Leute weg, sondern ganz generell, wenn ein Staat sich das rausnimmt zu entscheiden, wie wir das machen, hat Symbolwirkung. Und klar ist das irgendwo durch den Ausdruck eines gesellschaftlichen Bedürfnisses. Aber die Frage ist halt, ist das immer noch aktuell? Wir werden ja nicht ständig gefragt, finden wir das gut oder nicht? Und die Diskussion hast du in den USA ein bisschen, du hast es angesprochen, ich kenne es halt nur von der Todesstrafe eigentlich, dass das natürlich immer wieder ein Thema ist. Und er sagt auch da, das hat schon auch eine starke Symbolwirkung. Wenn du als Staat halt sagst, ich darf Menschen töten. Ja. Also ich…
[32:42]Im Endeffekt ist das eine Machtbeziehung, eine Machtäußerung, eine Darstellung. Ja, ja. Auch das, da wird ja oft auch argumentiert und gesagt, ja, das hat eine abschreckende Wirkung, also die Härte der Strafe oder eben die Todesstrafe und da sagt er nicht, das ist so nicht belegt. Also man kann nicht sagen, dass das irgendwie einen Zusammenhang hat, sondern was eigentlich viel einen höheren Zusammenhang hat, ist die Wahrscheinlichkeit der Entdeckung der Tat. Also ganz viele gehen sowieso davon aus, dass sie nicht gefasst werden oder nicht. Und das ist dann viel wichtiger, als jetzt zu überlegen, wie hoch fällt denn meine Strafe auf, wenn ich das und das tue. Stimmt.
[33:36]Er meint auch dann, ja, Schuld und Vergeltung ganz grundsätzlich ist eigentlich ein überholtes Prinzip. Ja, unser Vergeltungsbedürfnis möchte eigentlich Einsicht und Reue bewirken. Und das wird halt einfach nicht unbedingt durch eine Haft gefördert. Also klar, wenn du jemanden einsperrst, ich sage mal gegen seinen Willen in der Regel, dann kannst du es ja nicht erzwingen. Also wie willst du die Person, wie willst du wissen, ob diese Person jetzt irgendwie Reue oder Buße empfindet, wenn sie einfach weggesperrt wird. Das leuchtet mir schon ein, dass es nicht unbedingt funktionieren kann.
[34:24]Und worauf er raus will, ist glaube ich zu sagen, dass es dieses Bedürfnis, insbesondere auch wenn man mit Opfern spricht, ist eben nicht einfach, man will jemanden wegsperren. Also auch sie sagen, es ist oft wichtiger, dass man das wieder verhindert, also dass man präventive Maßnahmen machen kann, einfach das reine aus der Gesellschaft rausnehmen, das hilft eigentlich niemandem.
[34:55]Und da gibt es wohl ein sehr großes Problem im derzeitigen System, dass das einfach nicht, also dass diese Kommunikation auch zwischen Tätern und Opfern, auch wenn die, ich sag mal, gewünscht ist, dass die nicht stattfindet. Also das einerseits liegt da auch ein Datenschutzgrund dahinter, sodass man natürlich nicht einfach jemandem sagen kann, die Person ist jetzt in dieser Haftanstalt eingesperrt. Also das ist, ja, kann man nicht einfach offenlegen. Und gleichzeitig ist auch mit sehr vielen Fragen verbunden, ja, wenn ein Opfer da, ich sag mal, zu Besuch kommt, ja, wie wird das gesichert und so weiter und so fort. Das sei wohl sehr, sehr schwierig.
[35:45]Und auch eine Wiedergutmachung, jetzt sagen wir mal, die bei vielen Delikten eigentlich möglich wäre, wie zum Beispiel bei Vermögensdelikten oder bei Diebstahl oder so, das wird einfach nicht, das wird verhindert. Also das wird gar nicht in Erwägung gezogen. Und einerseits wird das verhindert dadurch, dass man eben mit einem Euro am Tag oder wie auch immer, kann man natürlich keine Schulden zurückzahlen. Und gleichzeitig aber auch Personen, die das könnten, müssen das nicht. Ich glaube, er nimmt als Beispiel da Uli Hoeneß, der wegen fast 30 Millionen Steuerschulden dann auch ins Gefängnis kommt und dann sagt er auch, ja, also das hat den Steuerzahler extrem viel Geld gekostet.
[36:28]Anstatt dass er einfach das zurückzahlen muss oder in irgendeiner Form wiedergutmachen kann. Mit Faktor X. Ja, zum Beispiel, genau. Und ja, das finde ich schon, finde ich durchaus einen validen Punkt. Auch diese Verschiebung, das drückt dann immer so wieder ein Buch durch, von weg eigentlich von der Tat oder vom Täter oder von der Täterin hin auch zum Opfer und der Beziehung zwischen Täter und Opfer oder was braucht das Opfer oder was möchte das Opfer. Das wird halt wie eigentlich gar nicht abgedeckt.
[37:05]Ja, da gibt es ja diese Gedanken von Täter-Opfer-Ausgleich, solche Ansätze. Ich weiß gar nicht mehr, wo ich das mal gesehen habe, dass das Opfer auch ein Mitspracherecht hat sozusagen, ob es irgendwie den üblichen Strafbewehrungsgefängnisweg geht oder irgendwie eine andere Ausgleichsform sozusagen verhandelt werden kann, abgesprochen werden kann. Das fand ich einen ganz spannenden Ansatz, der genau so ein bisschen in diese Richtung dann auch geht. Ja, das nennt er dann, er nennt zwei Ansätze. Einerseits die Restorative Justice und Transformative Justice. Das ist das.
[37:45]Genauso ist es wie weg, ich sag mal, die Verletzung, es wird nicht eine Verletzung von einem Gesetz dann angesehen, sondern eine Verletzung von einer Beziehung zwischen Menschen. Und was wurde verletzt, wer wurde verletzt, was brauchen die Betroffenen, wer ist in der Verantwortung, sich um was zu kümmern, das ist dann so der Ansatz. Und ich glaube auch eine seiner Ideen geht auch in diese Richtung, wo es halt darum geht, dass ein Gremium zum Beispiel Fälle bespricht, also dass nicht mehr nur das Gericht ein Entscheid fällt, sondern dass das Umfeld viel stärker mit einbezogen wird, dass die Opfer mit einbezogen werden, Dass Psychologen, PsychiaterInnen mit einbezogen werden, dass auch der Täter oder die Täterin mit einbezogen wird. Nicht unbedingt, um jetzt seine oder die Strafe, sage ich mal, abzumildern, aber auch, um Input zu geben. Oder was könnte man, und das auch andere, das fand ich ganz wichtig, andere Straffällige auch mit einbezogen werden. Also man kann ja auch da die Expertise holen, was hat genützt, was fandet ihr gut sozusagen und welche Maßnahmen sind halt sehr schädlich. Und das klingt, dieser integrative Ansatz klingt natürlich viel versprechender als das, was er so kritisiert am aktuellen System. Ja.
[39:07]Ein guter Punkt finde ich auch, dass dieses Stigma des Ex-Knackis natürlich an den Leuten einfach haften bleibt. Also ganz grundsätzlich könnte man sagen, wenn du deine Haftstrafe abgesessen hast, dann bist du eigentlich wieder quitt. Also dem Staat gegenüber, der Gesellschaft gegenüber, du hast deine Schuld abgesessen und das findet halt einfach nicht statt. Also es ist, du bist, wenn du mal da drin warst, dann ist das einfach, ja, das haftet dann an dir. an dir. Ich glaube, da ist auch, so was ist in Deutschland auch noch ein bisschen weniger ausgeprägt als jetzt wieder im Kontrast in den USA, wo es ja bis dahin geht, dass irgendwie Wahlrecht entzogen wird, passives oder auch aktives. Oder dass die berüchtigten Sex Offender Registers, wo man dann irgendwie drin verortet ist und gleich mal dafür sorgt, dass Immobilien im Umkreis weniger wert werden und all solche Dinge. Ja, krass. Ja, eben, Ich weiß nicht, wie das in Deutschland genau ist, aber ich kann mir schon gut vorstellen, dass natürlich trotzdem, also wenn man das mal im Lebenslauf hat, dann wirst du das nicht einfach so wieder los. Definitiv.
[40:25]Und ja, eben diese Verschiebung des Konflikts finde ich auch ein guter Gedanke, eben weg jetzt zwischen Täter und Justiz, sondern eben zwischen Täter und Opfer. Also dass man das mehr in den Blick nimmt. Und er sagt natürlich auch immer wieder, ja, man muss man die Opfer auch schützen in erster Linie. Es geht natürlich nicht, dass man sie da auch einbinden möchte oder tut, wenn das nicht gewünscht ist.
[40:55]Aber eben das auch da kommt ganz, ganz drauf an, wer oder was für Straftaten da vorliegen. Es gab wohl ein sehr, sehr krasses Beispiel von einem in einer Anstalt, wo ein Täter eine, ich weiß nicht, ob es eine Psychologin war oder jemand, der eine Therapiegruppe geleitet hat, hat sie eigentlich gekidnappt oder eingesperrt im Zimmer und dann irgendwie Forderungen gestellt und so weiter. und die Person wurde dann mehrfach vergewaltigt. Ich erinnere mich. Das habe ich natürlich über die Medien irgendwie, irgendwo klingelte was bei mir. Okay. Ja, und am Schluss, also er konnte dann gefasst werden und die Person hat dann auch ein Buch darüber geschrieben. Also das Opfer hat ein Buch geschrieben über die Erfahrungen und hat wohl auch einen Brief verfasst an den Täter. Und der wurde aber nie zugestellt. Also der ist wohl in diesem Buch abgedruckt, wurde aber nie zugestellt, auch mit der Begründung, dass das seinen Therapieerfolg irgendwie gefährden könnte oder irgend so was.
[42:00]Und ja, das ist natürlich schon irgendwie schwierig. Also wenn du auch als Opfer, kann ich mir schon vorstellen, eine gewisse Bedürfnisse hast, dich vielleicht etwas dem zu stellen oder zumindest dich mitzuteilen, wie sich das für dich angefühlt hat. Und wenn das nicht mal das irgendwie geht. Ja.
[42:27]Ja, ich finde einen sehr, sehr wichtigen Punkt, den er erwähnt und das, was du vorhin auch schon angesprochen hast, ist das Milieu. Also das Milieu ist eigentlich, also ja, ich sage mal, die meisten der Personen, die in Haft sitzen, kommen aus unteren sozialen Schichten, haben schwierige Familiensituationen, Lebensläufe und das macht halt diese Begründung, dass sich jemand frei für eine Straftat entschieden hat, ja, das ist halt in den allermeisten Fällen ungerecht. Recht. Frei dafür entschieden, also das sind ja gleich zwei Worte, die man in fast allen Fällen kräftig diskutieren kann, frei und entscheiden.
[43:15]Ja, absolut. Und er sagt auch, und das kann ich auch sehr gut nachvollziehen, es fällt auch vielen Betroffenen, also Betroffenen jetzt Tätern, von einer Haftstrafe Betroffenen so schwer. Wo wir bei Euphemismen sind. Ja, genau.
[43:35]Es ist halt schwierig zu akzeptieren, dass man schuldig ist, wenn einfach ausgeklammert wird, was man selbst erlebt hat. Also, dass das oft nicht berücksichtigt oder das wird nicht berücksichtigt, auch im Strafmaß zum Beispiel. Also es ist wie, es wird einfach, man geht nur von der Tat aus und dann wird daran die Schwere oder die Länge einer Haftstrafe ermittelt, ganz unabhängig davon, dass die Person vielleicht selbst sehr benachteiligt war und welche Gründe wirklich zur Tat geführt haben. Das ist so wahrscheinlich nicht ganz der Fall. Also ich gehe schon davon aus, dass Kontext natürlich eine Rolle spielt.
[44:17]Aber ich verstehe schon, wenn es darum geht, dass man irgendwie Reue oder sowas erreichen möchte und sich selbst aber als Verliererin in der Gesellschaft sieht und auch ein bisschen stückweit zu gewissen Taten gezwungen wurde, ich sag mal, im weitesten Sinne, dass das schwierig ist, dann irgendwie da Reue zu empfinden dafür. Ja, klar.
[45:09]Wenn wir davon ausgehen, dass wir unter ähnlichen Umständen eigentlich genauso gehandelt hätten. Verstehe ich. Und das finde ich eigentlich ein sehr gutes Argument gegen dieses Schuldkonzept. Ja, ja. Also da hört halt die Schuld irgendwo durch, irgendwann auch auf und kann nicht mehr herangezogen werden als Argument. Ja. Es ist generell wieder diese komplette Individualisierung sozusagen von Schuld. Also ich meine, es ist schon so ein bisschen, Ah, das stieß jetzt tatsächlich ein bisschen an dieses How Emotions Are Made Buch an, wo es ja auch darum geht, wo kommt irgendwie jetzt so ein Gewaltausbruch zum Beispiel, wo kommt der eigentlich her, was ist eigentlich ursächlich davon, ist der wirklich dem Individuum zuzuschreiben oder irgendwie hat da nicht auch eine Gesellschaft Schuld, die so wenige gesunde Bilder von Maskulinität zum Beispiel irgendwie anbietet oder so. Also diese ganzen Kontexte spielen ja dann auch da so ein bisschen mit rein.
[46:07]Ja, ja, total. Ja, und diese Individualisierung, das sagt er auch, diese Exklusivität, die Schuld impliziert, die existiert so natürlich nicht. Es sind immer, seien das Mitschuldige im wahrsten Sinne des Wortes, also die eine Tat mitbegehen oder einfach das Umfeld. Also eben, wir sind als Gesellschaft immer ein Stück weit mitschuldig.
[46:34]Geht der da auch auf ökonomische Situationen ein? Im Sinne von, ich musste halt klauen, um zu essen zu haben. Oder ich sitze halt im Knast, weil ich meine Strafe fürs Schwarzfahren nicht zahlen kann. Ist das auch Thema? Ja, er sagt durchaus, dass es halt eigentlich eine Ungerechtigkeit hier auch im Kapitalismus gibt. Dass auch Vermögen zum Beispiel ohne Leistung erworben werden kann und weitergegeben werden kann. Ungerechtigkeiten dadurch noch vergrößert werden. Und das auch wiederum zu Frustration führt und auch Gründe schafft, weshalb man gegen strafrechtliche Normen verstößt. Also schon eben auch dieses Schwarzfahren, das ist jetzt zum Beispiel etwas, was er komplett abschaffen würde. Okay, ja.
[47:47]It is legal for a fee. Also wenn es quasi nur mit einer Geldstrafe bestraft wird, dann ist es eigentlich nicht bestrafen, sondern es ist halt legal und kostet halt. Ja. Fand ich ein schönes Bild irgendwie. Ja, ja, genau. Und das ist auch, das wusste ich nicht und fand ich auch, finde ich schon irgendwie krass, dass sehr viele Geldstrafen, die nicht bezahlt werden können, das mündet dann in der Ersatzfreiheitsstrafe. Und das ist halt einfach, also man kann sich ja denken, wer das dann antreten muss. Das ist ja, glaube ich, dieser Gedanke der Tagessätze. Genau, ganz genau. Du musst halt den Tag entweder bezahlen, das ist tatsächlich aber einkommensabhängig, wie hoch dieser Satz pro Tag dann ist, oder du musst ihn absitzen. Genau. Ist auch wieder klar, wer das eher bezahlen kann, als wer nicht. Genau, und auch da sagt er, das ist halt völliger Unsinn, weil das sind ja meistens dann nicht irgendwie lange Haftstrafen, Aber trotzdem, wenn du irgendwie 60 Tagessätze hast, dann sind das zwei Monate. Und die zerstören einfach schon so viel von deinem Umfeld oder die Tatsache, dass du in Haft bist, eben zum Beispiel verlierst du den Job, was auch immer, dass es einfach kompletter Unsinn ist, das überhaupt als Option gelten zu lassen. Dass es das überhaupt gibt. Und es ist auch ein sehr, sehr großer Teil.
[49:14]Dieser Ersatzhaftstrafen machen das aus. aus allen Inhaftierten, ja.
[49:21]Ja, er sagt eben, ja, es gibt Alternativen. Das ist dann so seine, die Strafe der Zukunft nennt er das. Okay. Argumentiert schon auch sehr ökonomisch, sagt ja. Das kostet alles sehr viel, wie wir das jetzt haben. Das können wir billiger. Sagt auch, dass die Infrastruktur, die ist bereits geschaffen. Also wir haben die Menschen, die sich damit auskennen, die ExpertInnen, die diese Leute betreuen können. Auch in ausreichender Zahl? Er sagt ja, aber das ist nicht, ja, also ich finde jetzt auch die Berechnungen, das sind einfach irgendwelche Zahlen, ob das 130 Euro pro Tag kostet oder 80, das ist einfach so dahingeschrieben. Ich nehme an, er hat seine Gründe, wie man das ausrechnet, das wird aber nicht transparent dargestellt. Oder vielleicht irgendwo in den Fußnoten, die ich nicht so genau gelesen habe, aber ja.
[50:20]Ja, grundsätzlich sein der Tenor ist, dass es alles eigentlich billiger würde, vielleicht kurzfristig natürlich nicht, wenn man es gerade umstellt, aber längerfristig auf jeden Fall auch wegen der Präventivwirkung. Aber das ökonomische Argument ist nicht sein Kernargument, sondern es ist schon, das ist auch noch billiger, also es ist sowieso schon besser und es ist dazu auch noch billiger oder ist sein Argument tatsächlich, das ist billiger, Punkt. Nee, das ist ein Mitargument. Also ich glaube, ich finde schon, er legt auch sehr viel Wert eben auf dieses, einfach auf den Grund, ich glaube, das ist der erste oder Grundsatzartikel im, nee, der erste Artikel im Grundgesetz, also Menschenwürde wirklich. Und da sagst du einfach nicht menschenwürdig. Ja. Also, dass die Haft so, und das ist schon, finde ich, dringend sehr stark durch.
[51:06]Und dann eben auch die Prävention und eben einfach die Resozialisierung, also, dass man die Ziele, die die Haft haben sollte, nicht erreicht wird. Und das alles ginge dann eben noch günstiger, so. So, was er eben anstrebt, ist, dass man einerseits den Justizvollzug transparenter gestaltet. Ja. Also nicht, wie gesagt, das ist ein gesellschaftliches Bedürfnis eigentlich, das damit bedient wird, mit Haftanstalten. Und man ist aber sehr darauf bedacht, dass das so dargestellt wird, wie man das gerne hätte. Und zum Beispiel Insassen oder Insassinnen kommen sehr, sehr selten zu Wort. Ja. Also auch Medien, es ist schwierig, da irgendwie zu Informationen zu gelangen.
[51:54]Und ja, das müsste unbedingt anders und transparenter eigentlich gestaltet werden. Dann sagt er ganz generell, wie gesagt, Haftstrafen bräuchte es in dieser Form eigentlich gar nicht mehr, sondern man könnte das alles öffnen. Also man plädiert sehr stark für einen offenen Vollzug. Sei es beispielsweise, dass Personen in, das gibt es wohl schon für Jugendstraftäter, dass man in einem, auf einem Hof mit Pflegeeltern und deren Kindern zusammen wohnt und dann auch dort arbeitet und so weiter. Und so natürlich auch in ständigem Kontakt ist. Also man muss seine Emotionen irgendwie regulieren können. Wenn man auf etwas negativ anspricht, dann wird das gleich thematisiert. Das ist nicht so wie in der Haftanstalt, wenn du Besuch kriegst von deinem alkoholkranken Vater und danach, also dann bist du wieder auf dich allein gestellt die nächsten 23 Stunden. Das hilft irgendwie nicht so sehr. Und da sagt er natürlich, das sind Ansätze, die sehr viel vielversprechender wären. Ja, die gibt es aber wohl in Deutschland so nicht für Erwachsene, sondern ich weiß gar nicht, ob es in Deutschland für Jugendliche sind, aber ja, auf jeden Fall sehr wenig.
[53:12]Und ganz generell eben den offenen Vollzug auch, dass man zur Arbeit gehen kann, dass man gemeinnützige Arbeit als Alternative zur Inhaftierung auch anbietet. Anbietet, also nicht wohl viel mehr, als das bisher geschieht, also nur ganz wenige leisten gemeinnützige Arbeit, dass das auch einen Bezug zur Tat haben soll. Ja. Also wenn du, keine Ahnung, alkoholisiert Auto fährst oder so, dass du dann eben in einer Unfallklinik aushelfen musst oder sowas. Ja. Das hat natürlich auch seine Grenzen bei gewissen Straftaten, aber ganz grundsätzlich. Oder Steuerhinterziehung, da musst du halt in einen, ich sag mal, steuerfinanzierten Betrieb gehen und helfen. Dann siehst du auch, wo dein Geld verwendet oder wofür das verwendet wird. Er sagt eben, diese Ersatzfreiheitsstrafe müsste eigentlich komplett gestrichen werden.
[54:11]Und es gibt auch mittlerweile natürlich technische Möglichkeiten, also sei es zum Beispiel diese elektronische Fußfessel, die sehr gut eigentlich funktionieren kann. Und auch dort geht es nicht um die Apparatur an sich, sondern auch wieder um das Netz. Also die Person wird betreut, begleitet und so weiter. Ja, macht Sinn. Ja. Auch die Schadenswiedergutmachung sollte an erster Stelle stehen. Also man sollte den Personen die Möglichkeit geben, eine Wiedergutmachung zu ermöglichen. Und ja, einfach generell dieses Aufbrechen von diesen Clans in Haft, also diese Subkultur, die da entsteht, das alles, das thematisiert ja natürlich auch. Auch ich habe das jetzt hier nicht so dargestellt, weil ich glaube, das kann man sich so denken. Das kennt man auch aus den Filmen, aus Serien, wie das abläuft. Und das ist natürlich, das sagt er auch, also die Justizbeamten, ein Großteil davon ist beschäftigt, einfach Drogenhandel im Gefängnis irgendwie zu verhindern. Aber das geht halt irgendwie einfach nicht, weil man kann sie einfach nicht hundertprozentig überwachen. Muss man, sollte man ja auch nicht. Aber dass man das wie ein bisschen aufbrechen kann.
[55:34]Er findet ganz generell auch Entkriminalisierung von Drogen- und Bagatelldelikten, also Schwarzfahren und so, finde ich auch. Wieso sollte man dafür ins Gefängnis? Das ist irgendwie komisch, absurd. Und bei Drogen sagt er auch, das sind halt Gesundheitsrisiken, das ist einfach keine Sache des Strafrechts. Ja, finde ich auch zu Recht. Das ist auch sowas, habe ich mir jetzt als, ja, ich kenne das Thema ja nicht so gut, aber das habe ich mir nie so überlegt, dass es ja eigentlich unterschiedliche Rechtsformen auch gibt und das illegal nicht einfach illegal ist. Das sagt er ganz stark. Klar, die Haft müsste eigentlich wirklich, ich sage mal, schweren Fällen vorbehalten sein und alles andere müsste eigentlich anders gelöst werden können. Beim Thema Drogen ist das ja so ein bisschen der Ansatz, den Portugal fährt, wo Drogensucht eben keine Sache der Strafbarkeit ist, sondern eine Sache des Gesundheitssystems und auch als solche eben behandelt wird.
[56:37]Ja, und auch da ist es natürlich auch, bringt dann einige Beispiele, wo so, ich sag mal den Status Quo und dann wie könnte dieser Fall aussehen, wenn wir ein besseres System hätten. Und da ist auch klar, also in der Haft darfst du zum Beispiel kein Cannabis konsumieren. Aber in Freiheit darfst du das halt. Also es ist wie, wieso sollte eine Person, die sich halt ab und zu einen Toint gönnt, das nicht tun dürfen? Und es ist verständlich, dass man das in der Haftung nicht tolerieren kann, weil die Institution sonst nicht funktionieren würde. Und trotzdem könnte man das in einem offenen Vollzug, ohne dass jetzt diese Person zwingend dadurch straffällig werden müsste. Ja, aber es liegt natürlich, es liegt das Funktionieren der Organisation. Oder der Institution legt es vor seine eigentliche Funktion. Ja, genau. Und das ist halt eben einer seiner größten Kritikpunkte.
[57:38]Ja, ein letztes, was er noch sagt, ist, dass es auch finanziell ein Problem ist, dass natürlich zum Beispiel Rechtsanwälte sehr viel Geld verdienen. Und ein Vorschlag von ihm wäre, wäre, dass man sowohl Tätern als auch Opfern Beistände zur Verfügung oder zur Seite stellt, die auch vom Staat bezahlt werden und eben keine Rechtsanwälte, weil das Geld in diesen Momenten eigentlich keine Rolle spielen darf. Und dass man ja auch den Opfern eigentlich lebenslange staatliche Hilfe anbietet. Also dass man die auch nicht einfach dann auf sich alleine stellt und eben ein bisschen weg vom Täter hin zu den Opfern. Also den Blick ein bisschen verschiebt. Es gibt interessanterweise in der Schweiz einen Psychiater, der heißt Frank Aubagnoc. Der wurde auch so ein bisschen, ich sage genau, den Gegenpol zu diesem Autor wurde, ich glaube, als der Wegsperrer der Nation bezeichnet oder so.
[58:41]Ja, auch ein bisschen umstritten. Er hat wohl so ein Prognose-Tool entwickelt, die die Rückfallquote vorhersagen soll. Ja, und auch ihm wird dann vorgeworfen, genau das. Dass er sich eigentlich zu sehr auf die Täter fokussiert und zu wenig vielleicht auf die Opfer, auf diese Beziehung. Ja, genau. Und das sind so seine Vorschläge. Und dann er nennt, das hast du auch schon gesagt, die skandinavischen Länder insbesondere als Vorbild, wo es eben diesen offenen Vollzug viel stärker schon gibt. Aber auch eben diese offenen oder anderen alternativen Formen des Zusammenlebens, das eben nicht in so Haftanstalten ist, stattfindet, sondern zum Beispiel in Niederlanden gibt es Longstay, heißt das, da lebt man so in, ich sag mal, in großen WGs fast schon zusammen. Und da gibt es zwar schon einen Zaun weit außerhalb und ich glaube auch einen Wasserkraben, aber darin sind die Gefangenen relativ frei und haben nicht so das, ja, wie das wohl jetzt ist, irgendwie nur diese eine Stunde Ausgang pro Tag, die gewährt wird und so. Und das schlägt er eben auch vor für, ich sag mal, sehr schwere Straftaten, dass das eine Möglichkeit wäre. Potenziell Sinn, ja. Ja.
[1:00:11]Ja, das wäre es eigentlich gewesen. Ein Überblick über dieses Buch. Es ist, wie gesagt, es geht jetzt nicht theoretisch irgendwie irgendwo in die Tiefe. Aber ich fand es trotzdem ganz anregend zu lesen, weil das Thema einfach, ja, ich habe das nicht so präsent.
[1:00:34]
Mehr Literatur
[1:00:34]Ja, es ist wieder eines dieser Folgen, wo wir am Anfang sagtest du ja auch, also im Vorgespräch, es wird wahrscheinlich nicht so eine lange Folge werden und dann gibt es halt doch immer noch genug zu erzählen und zu denken und zu diskutieren. Das ist ein spannendes Thema, definitiv. Und ja, mache ich mal den Anschluss, woran es mich so erinnert hat. Ich habe am Anfang auch so gedacht, oh Gott, woran erinnert mich das? Was ist irgendwie anschlussfähig bei uns im Podcast? Und bin auch immer noch nicht so ganz glücklich mit den Ideen, die ich hatte.
[1:01:06]Als erstes vielleicht, was gerade beim Lesen, beim dir Zuhören entstanden ist, ganz stark.
[1:01:12]Das Buch Wie Gefühle entstehen von Lisa Feldman Barrett in Episode 69, wo es eben genau darum geht, auch so um die Frage, wenn wir dieses andere Modell auf Emotionen, was sie vorstellt, ernst nehmen, dann müssen wir im Grunde auch so Themen wie Schuld, neu denken, weil wir dann einen viel höheren gesellschaftlichen, Anteil in der Verantwortung sozusagen haben, weil beispielsweise jetzt Du hast es angesprochen, 94 Prozent der Gefängnisinsassen Männer sind, dass das vielleicht auch was damit zu tun hat, wie schlecht wir als Gesellschaft darin sind, irgendwie gesunde Bilder von Männlichkeit vorzuleben und zu bewerten, was dann eben zu Gewaltverbrechen oder irgendwelchen Verbrechen aus Unsicherheit sozusagen auch einfach, die natürlich massiv fördert. Ein bisschen mehr so dieser Punkt, dass man so ein bisschen an den, ich will nicht sagen den Rand der Gesellschaft, weil das klingt wieder so negativ, aber in so Bereiche reinguckt, die dem, was man so üblicherweise Normalgesellschaft nennt, so ein bisschen gering geschätzt werden, muss ich tatsächlich gleich an die letzte Folge denken, im Minusbereich von Jana Kostas, wo Christoph so ein bisschen Einblick in die Welt der Reinigungskräfte gibt, Was ja auch so ein gesellschaftlich eher gering geschätzter, ein bisschen abgewerteter Bereich ist. Natürlich nicht ganz so vergleichbar mit dem Gefängnis, aber eben vielen Dynamiken, was gesellschaftliche Wertschätzung und so weiter angeht, vielleicht doch näher dran, als einem das lieb wäre.
[1:02:39]Und dann habe ich noch drei Bücher, die wieder ein bisschen theoretischer sind, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen. Das erste ist hier aus dem Podcast, das haben wir vorgestellt, das ist sozusagen nochmal diese Gefängnisstrukturen ins massive Extrem getrieben. Das ist in Folge 10 von Wolfgang Sowski, die Ordnung des Terrors. Er ist im Grunde eine Organisationsanalyse von Konzentrationslagern. Das finde ich einen sehr gefährlichen Ansatz irgendwie, weil es auch Gefahr läuft, das zu banalisieren, aber das tut Wolfgang Sowski in dem Buch natürlich nicht. Dass da auch nochmal einen Einblick gibt. Dann ein Klassiker natürlich, wenn man jetzt soziologisch da drauf guckt, Foucault, Überwachen und Strafen.
[1:03:23]Das ist ja, glaube ich, so ein Buch, wenn man dann in die Theorie einsteigen will. Ich weiß nicht, ob du es im Vorgespräch genannt hattest oder jetzt hier im Podcast schon, aber das war auf jeden Fall auch ein Buch, was mir auch eingefallen wäre. Und auch so aus der soziologisch-theoretischen Richtung von Irving Goffman, das Buch Asyle über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen. Da entwickelt er vor allem den Begriff der totalen Institution. Also im Grunde einer von Einrichtungen, die das Leben ihrer bewohnten Insassen, wie auch immer man sie nennen will, im Grunde komplett umfassen und komplett dominieren und bestimmen. Und im Grunde da sämtliche Freiheit und Eigenverantwortung rausziehen, was du ja auch angesprochen hast. Das ist da auch so ein theoretischer Klassiker eben von Irving Goffman.
[1:04:10]Genau, das waren so die Ansätze und Ideen, die mir gekommen sind. Hast du noch was? Ja, vielen Dank. Ich hätte noch eine Folge, und zwar Folge 36 Inklusion und Exklusion von Robert Stichweh. Einfach, ja, weil eben dieses Milieuthema und dieses Machtthema natürlich sehr, sehr stark präsent ist und das dort auch behandelt wird. Von Büchern habe ich eines, das heißt Das Böse, geschrieben von Luke Russell. Das ist beim Reklamverlag erschienen. Das ist irgendwie so eine philosophische Reihe, wo er das ein bisschen durchdekliniert. Also was ist das Böse? Wer ist böse? Ist das angeboren? Wird man böse? Ja. Ich war, als ich es gelesen habe, zuerst gar nicht so begeistert vom Buch. Aber ich habe doch gemerkt, dass vieles eigentlich dann hängen geblieben ist. Ich glaube, ich werde es noch mal lesen. Es bleibt sehr vage im Sinne von, man muss sich halt auch ein bisschen selbst daran abarbeiten.
[1:05:11]Aber eigentlich trotzdem interessant, weil es die Frage natürlich sehr spannend ist. In diesem Sinne auch das Böse, die Banalität des Bösen von Hannah Arendt. Auch weil du jetzt vorhin das Buch von Zofsky erwähnt hast. Passt auch gut dazu. Ja, passt natürlich auch. Auch und sonst als Nicht-Sachbuch, eines meiner absoluten Lieblingsbücher, das perfekt zum Thema passt, Verbrechen und Strafe von Dostoevsky. Ah, ja. Schuld und Sühne hieß das früher. Das heißt jetzt in der neuen Übersetzung, die ich absolut empfehlen kann. Also ich habe es auch in der alten Übersetzung mal auf Deutsch gelesen und dann aber vor ein paar Jahren auch in der neuen von Svetlana Gaya. Also das ist echt, ich finde das einfach ein unglaublich gutes Buch. Okay.
[1:05:59]Dostoevsky ist immer so dick gleich. Ja, es ist dick, aber psychologisch finde ich das wirklich beeindruckend, wie er das darstellt. Und es geht ja auch um diesen Raskolnikov, der dann jemanden umbringt, ein bisschen auch gegen seinen Willen schon fast und so und dann vereinsamt. Und ja, wie das da aufgearbeitet wird, finde ich schon sehr gut gemacht. Spannend. Ja und Kafka, erwähne ich jetzt auch noch, der Prozess finde ich persönlich das Beste oder mir gefällt es am besten, aber es gibt natürlich auch jene, die zu diesem Systemkritik auch passen oder dieses zum Thema.
[1:06:46]Das wäre es von mir. Mir ist tatsächlich gerade noch ein Artikel, weil ich gerade auch diese Gender-Thematik mehrfach jetzt als Beispiel genommen hatte, kann ich mir nicht verkneifen, einen meiner absoluten Lieblingsartikel überhaupt zu empfehlen. Das ist ein Artikel in The Atlantic, ich weiß nicht, ob der frei online ist oder hinter Paywall, kann ich gerade nicht sagen. The Miseducation of the American Boy von Peggy Orenstein, wo sie eben genau, sehr genau zeigt, wo auch diese dysfunktionale Gender-Identität von Männern herkommt und wie die entsteht und wie die sich reproduziert. Sehr, sehr lebensnah irgendwie, ist ein sehr lesenswerter Artikel, wer sich da nochmal ein bisschen mit beschäftigen möchte. Gerade für uns Männer interessant und spannend zu lesen.
[1:07:32]
Ausstieg
[1:07:37]Gut, dann war es das für unsere heutige Folge 75. Mal wieder irgendwo ein Sprung in irgendeine Welt, über die wir glaube ich jetzt eine Menge gelernt haben. Danke dir, Amanda. Und uns bleibt dann nur, euch auf unsere diversen Plattformen zu verweisen. Unser Hub ist natürlich zwischenzweideckeln.de, unsere Homepage, wo ihr all das findet, was ihr zum Podcast kennen und wissen müsst und wollt.
[1:08:06]Idealerweise, wenn ihr einen Kommentar habt, hinterlasst ihr den einfach da an der Episode, dann kann man auf der Webseite einfach gleich weiter diskutieren. In den sozialen Medien sind wir auch unterwegs, ihr findet uns auf Instagram als atdeckeln, auf Facebook haben wir glaube ich auch eine Seite, wo aber nicht viel mehr passiert, als dass wir die neuen Episoden posten und dann sind wir auch bei Mastodon bzw. Eben Fediverse aktiv, da findet ihr uns als atzzd, atpodcasts.social. Genau, wenn ihr irgendwas habt, lasst es uns wissen, teilt unsere Episoden, kommentiert, antwortet, fragt. Habt da keine Scheu. Und ansonsten hinterlasst uns Sterne und Rezensionen, wo es geht. Abonniert den Podcast im Podcatcher eurer Wahl oder auch in den World Gardens, die es da so gibt. Meistens vermutlich Spotify. Da könnt ihr uns überall hören. Und bis zum nächsten Mal in Episode 76 wünsche ich euch viel Spaß beim Lesen. Tschüss zusammen.
Der Beitrag 075 – „Weggesperrt“ von Thomas Galli erschien zuerst auf Zwischen zwei Deckeln.
Capíttulos
1. Einstieg (00:00:16)
2. tl;dl (00:04:06)
3. Buchvorstellung (00:04:36)
4. Mehr Literatur (01:00:34)
5. Ausstieg (01:07:32)
85 episodios
Manage episode 422170533 series 2506947
Wie in der letzten Episode geht es auch diesmal in einen Bereich der Gesellschaft, der kaum öffentlich diskutiert wird.
In „Weggesperrt“ kritisiert Thomas Galli die Ineffektivität des Strafvollzugs. Er beleuchtet die Hintergründe des Strafens und die gesellschaftlichen Mechanismen dahinter und argumentiert, dass Strafen eher symbolische, denn praktische Funktionen haben. Galli argumentiert, dass Haftstrafen oft keine Resozialisierung bewirken, hohe Rückfallquoten zeigen und oft zu einer Verschärfung der sozialen Probleme führen. Deswegen fordert er eine Neuausrichtung des Strafsystems hin zu präventiven und resozialisierenden Maßnahmen, wie gemeinnütziger Arbeit und therapeutischen Ansätzen, anstatt bloßer Inhaftierung, um langfristig eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen.
Shownotes
- Buch: Weggesperrt von Thomas Galli
- Buch: Quellcodekritik von Hannes Bajohr und Markus Krajewski
- Judith Shklar (Wikipedia)
- Frank Urbaniok (Wikipedia)
- Buch: Das Böse von Luke Russell
- Buch: Über das Böse von Hannah Arendt
- Buch: Verbrechen und Strafe von Fjodor Dostojewski (in der Übersetzung von Swetlana Geier)
- Buch: Der Prozess von Franz Kafka
- Buch: Überwachen und Strafen von Michel Foucault
- Buch: Asyle von Erving Goffman
- Artikel: „The Miseducation of the American Boy“ von Peggy Orenstein
- ZZD010: „Die Ordnung des Terrors“ von Wolfgang Sofsky
- ZZD036: „Inklusion und Exklusion“ von Rudolf Stichweh
- ZZD069: „Wie Gefühle entstehen“ von Lisa Feldman Barrett
- ZZD075: „Im Minus-Bereich“ von Jana Costas
Quellen und so
Intro und Outro der Episode stammen aus dem Stück Maxixe von Agustin Barrios Mangore, eingespielt von Edson Lopes (CC-BY).
Das Umblättern zwischen den Teilen des Podcasts kommt hingegen von hoerspielbox.de.
Zwischen zwei Deckeln findest du auch im sozialen Medium deiner Wahl: Mastodon, Instagram und Facebook.
Transkript (automatisch erzeugt)
Einstieg
[0:15]Hallo und herzlich willkommen zu Episode 75 von Zwischen zwei Deckeln. Wir machen heute das Dreivierteljahrhundert sozusagen voll mit unserem Podcast, dem Sachbuch-Podcast, in dem wir alle drei Wochen euch ein Sachbuch vorstellen. Mein Name ist Nils und ich habe heute Amanda dabei. Hallo. Genau, und Amanda wird uns gleich ein spannendes Buch vorstellen, wo wir schon gerade überlegt haben, dass wir gar nicht so viele Bezüge zu den Themen haben, die wir bisher in unserem Podcast besprochen haben. Obwohl es eigentlich ein gar nicht so fernliegendes Thema ist. Aber dazu später mehr.
[0:50]Ich bin gerade dabei, ja, so ein bisschen zu überlegen, was so ein Thema sein könnte, in das ich mich jetzt ein bisschen tiefer einfuchse, wie ich das ja letztes Jahr mal so ein bisschen gemacht habe mit dem ganzen Thema Intelligenz, Menschen und so weiter. Mal gucken, was das wird. Was ich gerade auf jeden Fall als Buch lese, ist Horizons von James Poskett, heißt er, glaube ich. Das ist so ein Versuch, eine Wissenschaftsgeschichte zu erzählen, die nicht nur eurozentrisch ist. Und die auch nicht nur so klassisch sagt, ja, es gab mal irgendwie die islamischen Wissenschaftszentren und irgendwann haben die Chinesen auch mal Schießpulver erfunden. Sondern tatsächlich so ein bisschen mehr so die Interaktion und die Prägung der europäischen Wissenschaft durch. wo ich, in dem Fall ist es jetzt gerade tatsächlich ganz viel die nativ-amerikanische Kultur und Wissenschaft. Das ist gerade ganz großes Thema. Aber ich vermute, es wird auch noch Afrika, Asien, das wird auch noch alles ein bisschen reinkommen. Zu seinen Argumenten hat er mich noch nicht hundertprozentig überzeugt, aber es ist auf jeden Fall sehr, sehr spannend zu lesen.
[1:51]Cool, ja, das klingt auch nach einem Buch, das man vorstellen könnte. Ja, ich vermute es auch, wenn es irgendwie noch so ein bisschen argumentative Substanz ein bisschen mehr kriegt. Okay. Aber ich glaube auch, dass das vermutlich hier im Podcast landen wird, wenn ich es schnell genug gelesen kriege, bis zu meinem nächsten Slot sozusagen. Was beschäftigt dich denn gerade außer dem Buch, was du uns heute vorstellst? Also ich habe mir vor ein paar Tagen ein Buch per Zufall gekauft, also wieder besseren Wissens, weil ich eigentlich keine Bücher kaufen sollte im Moment, eines gekauft, das heißt Quellcode-Kritik zur Philologie von Algorithmen. Und das finde ich natürlich sehr spannend, weil das genau diese Schnittstelle ist, die mich sehr interessiert als Informatikerin, natürlich Quellcode generell, aber jetzt so die Verbindung auch, wie man das, literarisch lesen kann oder interpretieren kann oder analysieren kann und ich bin ganz gespannt. Ich habe noch nicht, ich habe noch nicht drin gelesen, aber da freue ich mich echt drauf, bin gespannt. Hannes Bajor hat das geschrieben, ich weiß nicht, ob du ihn kennst, ist ein Literaturwissenschaftler, ich glaube, er Er lehrt hier irgendwo in der Schweiz. Er hat auch Judith Schklar übersetzt. Ist das bekannt vielleicht?
[3:07]Ja, auf jeden Fall. Ich bin gespannt. Ja, das klingt nach einem sehr spannenden Themenansatz sozusagen. Was er da so an Ansätzen entwickelt. Auch da würde ich mich zumindest über ein paar Impulse hier im Podcast freuen, glaube ich. Ja, mal schauen, ob da genug Fleisch am Knochen ist. Genau, das ist ja immer die Gefahr. Dass so eine Prämisse zwar irgendwie spannend auch zu lesen ist durchaus, aber dass man jetzt nicht so richtig so eine Episode daraus gestrickt kriegt, wie wir das ja hier dann doch auch brauchen. Ja, sehr schön. Du hast uns heute ein bisschen was Pragmatischeres mitgebracht. Ein Buch mit dem schönen Titel Weggesperrt von Thomas Galli. Das ist ein deutscher Jurist und Autor. Du sagtest, er hätte auch mal eine Strafvollzugsanstalt geleitet. Und das ist tatsächlich auch, wenn ich dich gerade richtig verstanden habe, das Thema des Buchs, das 2020 bei der Edition Körper erschienen ist. Ja, möchtest du uns kurz das TLDL vorstellen? stellen. Klar.
[4:06]
tl;dl
[4:10]Im Buch Weggesperrt – Warum Gefängnisse niemandem nützen, kritisiert der Autor und Jurist Thomas Galli den aktuellen Strafvollzug und argumentiert, dass Haftstrafen vor allem symbolische Wirkung haben und das Ziel von Resozialisierung und Prävention oft verfehlen. In seiner Streitschrift fordert er einen weitgehenden Verzicht auf Haftstrafen und diskutiert mögliche Alternativen. Vielen Dank.
[4:36]
Buchvorstellung
[4:37]Auch ein Thema, was immer mal wieder aufploppt. Interessanterweise erlebe ich das viel mehr im US-amerikanischen Diskurs als jetzt im deutschsprachigen. Also da kennt man das als Thema Defund the Police und dieser ganze Diskussionsstrang. Aber ich bin gespannt, was es da zu Deutschland zuzusagen gibt.
[4:56]Ja, du hast schon gesagt, das Buch ist ein bisschen älter, also 2020 ist das erschienen und bezieht sich sehr stark auf Deutschland. Also es ist wirklich, wie gesagt, er hat eine Justizvollzuganstalt in Deutschland geleitet und plaudert auch so ein bisschen, ich sag mal aus dem Nähkästchen, was da so passiert und wie das so organisiert ist. Es ist also kein theoretisches Buch. Es geht nicht soziologisch oder psychologisch in die Tiefe, liest sich aber sehr einfach. Und ich finde schon, dass es durchaus sehr anregende Stellen drin hat, die man sich halt einfach nicht so überlegt, weil das Thema einfach, das ist halt einfach nicht so breit diskutiert. Also man stellt es nicht unbedingt in Frage, so ganz konkret oder ganz grundsätzlich, sage ich mal, Man hört immer von einzelnen Beispielen und so und was da gut läuft oder was schlecht läuft, aber nicht so die ganz generelle Frage nach dem Gefängnis.
[5:57]Und ich bin drauf gekommen, in der letzten Folge habe ich schon mit Christoph drüber gesprochen, dass ich eigentlich das Buch von Foucault lesen möchte über Gefängnisse, also über Strafen und so weiter. Ich habe es immer noch nicht gelesen, aber bin dann über Umwege da drauf gestoßen und dachte, das könnte vielleicht auch interessant sein. Ein etwas praktischerer Ansatz als vor Kofen.
[6:45]Weniger als du hast vorhin die USA erwähnt. Dort sind es viel mehr, also fast zehnmal mehr in Bezug auf die Bevölkerung. Also pro 100.000 sind es in Deutschland circa 70. Und eben in den USA fast zehnmal mehr. Und ja, das finde ich schon auch noch krass, wenn man sich die relative Zahl anhört. Aber nur 11 Prozent dieser Inhaftierten haben ein Haftdauer von mehr als fünf Jahren. Das ist jetzt in Deutschland wieder. Das ist in Deutschland, genau. Und die Delikte sind vor allen Dingen eigentlich Diebstahl und Unterschlagung, Betrug und Untreue und dann Eigentums- und Vermögensdelikten. Die machen fast die Hälfte aus. Und Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung machen circa 6% aus und gegen das Leben circa 7%.
[7:39]Das sind erstaunlich geringe Anteile, also gerade, dass der Anteil sexueller Straftaten irgendwie kleiner ist, als der, die irgendwie Tötungsdelikte sind ja wahrscheinlich Straftaten gegen das Leben oder Versuch. Hätte ich auch gesagt, ja. Das finde ich krass, vermutlich wegen der Dunkelziffer und der schlechten Bestrafung dieser Straftaten, aber ja, krasse Zahl. Ja, genau, ja, sagt er auch, dass natürlich insbesondere sexuelle Straftaten sehr, dass es da eine sehr, sehr hohe Dunkelziffer gibt. Das sind jetzt einfach die, die natürlich dann auch deswegen angeklagt und in Haft sitzen. Das Buch ist durchgehend in der männlichen Form geschrieben. Ich nehme an, mitunter deswegen, weil nur sechs Prozent der Inhaftierten sind Frauen. Wow, okay, krass. Also nicht viele. Und ja, deswegen wird da, da wird nicht gegendert in dem Buch. Ja, es ist halt offensichtlich schon eine Tatsache, dass das nicht, ja nicht gerecht ist das falsche Wort, aber nicht egalitär oder verteilt ist. Nicht gleich verteilt. Nicht gleich verteilt, ganz genau.
[8:50]So, er sagt dann oder er fängt ein bisschen damit an, warum wir überhaupt strafen. Er sagt ja ganz grundsätzlich haben wir ein Vergeltungsbedürfnis. Das heißt, wir möchten eigentlich, dass eine Person bestraft wird, wenn sie etwas Unerlaubtes tut. Das sei zu einem gewissen Teil angeboren, ist aber auch zu einem großen Teil kulturell geprägt. Richtig. Und was wir dann im Verlauf oder im Zuge der Zivilisation sozusagen gemacht haben, ist, dass wir diese Bestrafung an den Staat delegiert haben. Und seither ist es nicht mehr nur so eine direkte Aggression eigentlich, sondern es hat eben auch symbolische und kommunikative und eine pädagogische Funktion. Also dem Bestraften soll einerseits vermittelt werden, dass sein Verhalten falsch war. Aber der Gesellschaft soll auch gezeigt werden, dass man das wie nicht akzeptiert, dass nicht jeder oder jede alles tun darf. Und der Bestrafte soll auch gleichzeitig gebessert oder geläutert werden.
[9:59]Zu Beginn ging es wohl, also das Gefängnis an und für sich gibt es nicht seit jeher. Also das ist was, das erst in den letzten Jahrhunderten so aufgekommen ist, in der Form, wie wir es jetzt heute kennen. Und früher waren das Zuchthäuser, wo es vor allen Dingen um Arbeit eigentlich ging. Ich glaube, für Frauen waren das auch Spinnhäuser oder Spinnereien, nannte man das. Und da sind vor allen Dingen auch Personen da, die obdachlos waren oder sonst mittellos, die dann da untergebracht worden sind. Eine ganz enge Verzahnung auch von sozialem Status und Strafe, wenn du sagst, dass das irgendwie gleichzeitig armen oder obdachlosen Unterkünfte und Zuchthäuser waren. Ja, total. Und das ist auch etwas, auf was er später eingeht, weil das natürlich immer noch der Fall ist. Diese Verzahnung von Milieu und sozialem Status ist leider immer noch sehr, sehr, sehr, sehr krass. Ja.
[11:04]Der Grund, warum man dann Gefängnisse in der Form aufgestellt hat, wie wir sie heute haben, hat insbesondere gemäß Gali eigentlich finanzielle Gründe. Man kann einfach viele Menschen bürokratisch so besser verwalten. Deswegen sperrt man die halt alle zusammen irgendwo weg. Und seine Hauptkritik ist eigentlich daran oder äußert er so, dass man ganz viele Rechtfertigungsgründe für das Gefängnis eigentlich ex post macht. Also wie nachträglich sagt man ja, das dient der Resozialisierung oder die Strafe dient der Resozialisierung. Das ist so ein Kritikpunkt, wo er einfach sagt, das findet nicht statt. Also du wirst im Gefängnis schlicht nicht resozialisiert.
[11:54]Und da führt er eine ganze Reihe an Argumenten an, warum das nicht passiert. Also das eine ist, dass es, man weiß ja gar nicht unbedingt, was Resozialisierung überhaupt heißt, er wirft diese Frage nicht direkt auf oder beantwortet sie auch nicht, aber ganz grundsätzlich spricht man oder nimmt immer so als Proxy die Rückfallquote an. Und das, also dazu gibt es einfach keine verlässlichen Daten, sagt er jetzt zum Beispiel in Deutschland. Also man kann nicht wirklich sagen, ob eine Haft irgendwie rückfallfördernd sogar wirkt oder ob sie Rückfälle verhindert. Und genauso wenig kannst du natürlich sagen, wenn du jemanden nicht einsperrst, ob das jetzt irgendwie besser oder schlechter ist. Es ist einfach sehr schwierig zu erheben, weil du natürlich auch nicht Kontrollgruppen irgendwie aufsetzen kannst.
[12:48]Genauso sagt er auch, dass weniger Rückfälle nicht unbedingt heißt, dass die Resozialisierung jetzt gelungen ist. Also es sei einfach auch schwierig, die negativen Folgen jetzt unabhängig vom Rückfall mit Daten zu unterlegen. Deswegen ist diese ganze Diskussion einfach sehr, ja ich sag mal, die Daten, die man hat, die kann man auf ganz verschiedene Art und Weisen natürlich auslegen. Und er meint auch, das wird sehr oft, insbesondere für den politischen Wahlkampf dann auch verwendet. Also diese Zahlen, die sind nicht unbedingt belastbar, ich sage mal in einem wissenschaftlichen Sinne. Aber es sind die besten, die wir haben vermutlich. Ja, genau, genau. Und trotzdem macht er das dann auch wieder. Also später im Buch dann argumentiert er trotzdem auch wieder mit Rückfall oder nicht Rückfall, wenn er die Alternativen aufzeigt. Also ich glaube, ja, man kann halt, es ist halt einfach eine Zahl, die irgendwie relevant ist in diesem Thema.
[13:47]Was er sagt ist, dass es einen großen Widerspruch eigentlich gibt, weil durch die Haft schließt du einen Bestraften oder eine Bestrafte aus der Gesellschaft aus und versuchst ihn oder sie gleichzeitig wieder zu resozialisieren. Also eigentlich die Person wieder in die Gesellschaft zurückzubringen und das klappt halt irgendwie nicht gleichzeitig. Ja. Und da sagt er, es ist schwierig und wenn da dieser Widerspruch besteht, setzt sich am Ende eigentlich die Vergeltung durch. Mhm.
[14:39]Keine Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen. Es wird für sie alles entschieden. Also du kannst, ja, es ist einfach von A bis Z alles durchbürokratisiert, wie viele Unterhosen du besitzen darfst, wo du wann, wie lange dich aufhalten darfst und so weiter. Also du hast keine Chance eigentlich, das zu lernen, was du bräuchtest, wenn du in Freiheit bist. Also zu lernen, zum Beispiel eine Entscheidung oder eine richtige oder auch eine falsche Entscheidung zu treffen. Oder insbesondere halt eben wirklich auch Verantwortung zu übernehmen, sei es für eine andere Person, sei es für irgendetwas, was man tut. Also du wirst eigentlich in der Haft komplett von dem entlastet oder entbunden. Und das ist eigentlich ein riesiges Problem. Und das finde ich total einleuchtend natürlich. Ja, klingt sehr logisch.
[15:38]Er sagt auch, es führt Gefängnisse für nicht dazu, dass man sich mit seinen Problemen auseinandersetzt. Also auch aus dem gleichen Grund, weil es halt im Gefängnis diese Versuchung gar nicht gibt, sag ich mal. Die Versuchung jetzt für einen Täter, der häusliche Gewalt begangen hat. Wenn du keine Frau und kein Kind dort hast und nicht in dieser Umgebung bist, die dich emotional vielleicht zu so einer Tat bringen könnte, dann tust du das dort auch nicht. Aber wenn du dann zurückkommst in genau dieses Setting, dann, ja, dann passiert es vielleicht wieder. Dann besteht die Gefahr, ja. Ja. Also, dass er einfach sagt, ganz, ganz generell, dieses Setting von Haft hat einfach gar nichts mit, na ja, mit der Wirklichkeit zu tun. Auch die Tatsache, dass ein Insasse nie, also während der Haft eigentlich nie ohne Aufsicht die Anstalt verlassen kann. Zum Beispiel sei es für ein Bewerbungsgespräch oder sei es für eine Wohnungsbesichtigung. Also die werden einfach nonstop begleitet. Macht natürlich zum gewissen Teil auch Sinn. Aber trotzdem ist das natürlich ein krasses Stigma. Es ist einfach extrem schwierig, dann einen Job zu kriegen oder eben eine Wohnung.
[17:03]Und auch hier wieder dieses Entbinden von Verantwortung. Also du kannst gar keine Verantwortung für dich selbst auch übernehmen. Ja.
[17:41]Einfach ruhig bleibt und aus diesem Grund werden auch sehr viele Anträge schlicht nicht bewilligt und auch viele Lockerungen eigentlich nicht gewährt. Er nennt dann ein Beispiel, das fand ich ganz interessant, da ging es um eine Person, die, ich weiß gar nicht, warum sie in Haft war, aber die ist dann, die hat dann eine Lockerung gekriegt und ist geflüchtet und hat dann auf der Flucht ein Auto gestohlen und ist mit diesem Auto vor einer Polizeikontrolle davon gefahren. Und dabei ist er dann auf die Gegenfahrbahn gekommen und hat eine 20-jährige Lenkering auf der anderen Fahrbahn angefahren und diese ist dann auch gestorben. Und ja, das war dann natürlich ein Riesenskandal, weil er ist halt aus der Haft geflüchtet. Und die Justizbediensteten, die diese Lockerung gewährt haben, die wurden dann auch angeklagt. Und zwar wegen fahrlässiger Tötung und hätten dann auch sozusagen eine Haftstrafe verbüßen müssen. Das wurde dann aber von einer höheren Instanz schließlich wieder aufgehoben, aber hatte schon auch eine starke Symbolwirkung, wenn man das hört. Wann wäre gewährt dann noch irgendwelche Lockerungen oder, ja. Ja. Genau.
[19:09]Das finde ich einleuchtend. Was er aber dann sagt, finde ich eigentlich das Interessante. Er sagt, ja, diese Justizbediensteten hätte niemand angegriffen, wenn dieser Unfall kurz nach der Haft passiert wäre. Also dieser Skandal wurde nur zum Skandal, weil er während der Haft stattgefunden hat. Ja, klar. Und das, sagt er, ist auch auch so ein bisschen, ich sag mal, die Datenlücke. Also es ist wie alles, was während der Haft ist, ist so ganz krass kontrolliert und ja, da schaut man drauf und das muss dann, das kann dann auch politisch irgendwie ausgeschlachtet werden und alles, was danach passiert, ist wie, da ist man so ein bisschen blind. Okay, man hat vielleicht einen Rückfall, aber auch, was heißt Rückfall? Oder also wenn, ich kann keine Ahnung, wenn du jemanden umgebracht hast und nachher stielst du irgendwie eine Cola, dann ist das vielleicht schon ein Rückfall, aber nicht, also das ist natürlich nicht vergleichbar. Schon was anderes, ja. Genau. Und ja, das sagt ja, das ist natürlich ja, ist problematisch, dass man das so, so sieht.
[20:19]Ein weiterer Punkt, den er erwähnt, ist, dass viele Personen, eigentlich ist das selbstverständlich, wenn du in Haft musst, insbesondere für längere Zeit, verliest du deinen Job. Und das ist insbesondere dann ein Problem, wenn deine Haft eigentlich nicht, ich sage mal, ein paar Monate dauert und du aber deinen Job in dieser Zeit nicht nachkennen kannst und dann den verloren hast, dass das natürlich auch extrem schwierig ist für die Resozialisierung. Also du nimmst eigentlich die Person aus ihrem Umfeld raus und dann wirst du sie sozusagen wieder daheim. Aber sie hat dann Bruchstücke von dem vorherigen Leben, das sie zusammensuchen muss. Ja. Und da finde ich auch, ja, das ist zu rechten ein sehr gutes Argument, weil er sagt dann auch, ja, wenn man wirklich dieses Ziel der Resozialisierung vor Augen hätte, dann würde man das nicht so machen, dann würdest du eigentlich das fördern, was die Wiedereingliederung wirklich ermöglicht oder zumindest nicht eine weitere Desozialisierung zu einer Desozialisierung führt. Ja.
[21:30]Ja, das sind so die Gründe, warum man sagt, Resozialisierung ist eigentlich nicht unbedingt gewährleistet. Gleichzeitig sagt auch ganz einfach die Haft, das ist nicht menschenwürdig. Also einerseits, wie sie wohnen in dieser kleinen Zelle, sagt man jetzt auch nicht mehr. Er sagt auch, viele Begriffe sind zum Beispiel einfach beschönigt worden. Also man sagt eben nicht mehr Zelle, sondern ich glaube Haftraum. Und Gefangene sagt man auch nicht mehr, sondern das sind jetzt Insassen. Und zum Beispiel in Dänemark spricht man von der Kriminalfürsorge. Also das hat man auch dort ein bisschen umformuliert. Aber gelten die nordischen Staaten nicht eigentlich so als Musterbeispiel, wie man das machen kann? Doch, total. Also einfach nur zur Einordnung. Also vielleicht ist da die Beschönigung ein bisschen berechtigter als bei uns. Genau. Nee, nee, das stimmt. Das sind tatsächlich die Vorbildstaaten. Aber ich finde es einfach Kriminalfürsorge. Auf Deutsch, vielleicht klingt das auf Dänisch ein bisschen anders. Auf Deutsch klingt das irgendwie schräg.
[22:43]Ja, aber eben, da sagt er auch, es ist halt wie so, man versucht das halt auch zu beschönigen und das spielt auch wieder da mit. Also eigentlich bestraft man, man übt Vergeltung, also man übt eigentlich Gewalt an Menschen, aber man macht, ich sag mal, man streicht das rosa an und sagt, ja, aber eigentlich resozialisieren wir ja. Aber das klappt halt eben leider nicht wirklich.
[23:09]Wie gesagt, mitunter auch, weil es menschenunwürdig ist, zum Beispiel die Zwangsarbeit. Es gibt eigentlich keinen Grund, warum Leute zwangsarbeiten müssten. Er sagt, der Grund ist, dass es halt einfach Ruhe und Ordnung gewahrt wird. Die Leute sind beschäftigt. Zwangsarbeit im Gefängnis ist sehr schlecht bezahlt. Das ist zwischen 1 bis 3 Euro, glaube ich. ist nicht rentenversichert. Ja, okay. Und ich bin jetzt, es steht nicht hier im Buch, ich glaube, vor ein paar Jahren hatte ich mal einen Artikel gelesen, wo es, ich glaube, um Autoschrauben oder sowas ging. Also deutsche Firmen profitieren auch durchaus von diesen billigen Arbeitskräften. Und ist aber nicht, wohl nicht so schlimm wie in den USA. Dort ist es ja auch, sind die Gefängnisse auch privat und müssen dann gewinnorientiert bewirtschaftet werden, sozusagen. Wow, alleine schon der Gedanke irgendwie an bewirtschaften. Also das ist irgendwie, ja.
[24:17]Ja, es ist schon schräg. Also ich konnte das auch nicht im Kopf zusammenbringen. Also wie du eine Institution, in der du Menschen einsperrst und dass das irgendwie gewinnbringend verwaltet werden kann, das geht mir irgendwie nicht in den Kopf. Kosten senken halt, ne? Ja, ich weiß nicht. Auf jeden Fall, klar, sagt auch diese Kosten, also diese Ressourcen, die aufgewendet werden, 80 Prozent davon fließen eben nicht in diese Resozialisierung, sondern in die Sicherung, Kontrolle, Disziplinierung, Verwaltung und so weiter. Also nicht in die Dinge. Und er sagt dann so irgendwo ganz provokativ auch, Man könnte die Gefängnisse, die Insassene auch wegnehmen aus den Gefängnissen und die Justizbeamten wären dann noch eine gute Weile mit sich selbst beschäftigt, ohne dass sie es merken würden.
[25:17]Ja, aber klar, das Bürokratie-Argument, das kann man natürlich in sehr vielen staatlichen Betrieben so anführen. Anführen. Ganz grundsätzlich sagt er aber schon, es funktioniert auch sehr gut. Also diese Infrastruktur, die geschaffen ist, das klappt eigentlich soweit und das benutzt er dann nachher auch als Argument, um zu sagen, ja, auch wenn wir das ändern, wir haben ja eigentlich die Grundlagen schon alle geschaffen. Also es gibt die Leute, die gut ausgebildet sind, die ihren Job größtenteils sehr gut machen und das, ja, da ist er eigentlich nicht auch sehr, sehr wohlwollend diesen Menschen gegenüber. Also er hängt das jetzt nicht an den Mitarbeitenden im System sozusagen auf, sondern tatsächlich an den Strukturen. Das macht mir das Denken ja sehr sympathisch. Ja, ja, ja, total. Also das macht er wirklich gar nicht.
[26:10]Ja, er sagt so noch als letzter Punkt, wenn es darum geht, Resozialisierung, das ist ja auch, ich sage mal im Volksmund sehr oft mit diesen Gedanken an Therapie verbunden. Also dass man die irgendwie heilt oder zumindest betreut. Und er sagt, das ist natürlich im Grundsatz nicht schlecht, aber auch da ist der Erfolg sehr fraglich. Also einerseits fraglich, wenn man wirklich, sagen wir mal, schwere Straftaten therapieren möchte, aber auch weniger schwere Straftaten. Es ist halt, du sprichst dann einmal in der Woche irgendwie mit einer Therapeutin und ja, die Frage ist halt einfach, die meiste Zeit bist du halt unter anderen, alleine oder mit anderen Strafgefangenen. Gefangenen und diese, es ist ein bisschen ein Tropfen auf den heißen Stein. Und gleichzeitig ist es für ganz viele, zum Beispiel Lockerungen, eine Bedingung. Also keine Ahnung, der so und so hat erfolgreich an der Therapie teilgenommen und dann darf man und sonst darf man nicht. Und nach das sagt er, ist eher so die Symbolwirkung oder auch die Rechtfertigung des Gefängnisses, um zu sagen, hey, wir haben das probiert. Also wir haben für diese Person gesorgt, ihr das angeboten und nicht, also weniger, um wirklich unbedingt zu helfen.
[27:37]Ja, jetzt, er sagt auch, Gefängnisse, das ist ein Kapitel, das ist überschriftet mit Gefängnisse gefährden unsere Sicherheit und meint damit eigentlich, dass dieser, das Skandal eben des Ausbruchs zum Beispiel von einzelnen Gefangenen, was dann immer so ganz dankbar aufgenommen wird in den Medien, ist weniger gefährlich als einfach generell die hohe Rückfallquote. Ja, ja. Und das sagt halt eben, das führt wieder dazu, dass man den Fokus halt einfach viel mehr auf die Prävention auch verlagern muss und nicht einfach darauf, ja, irgendwelche Leute einzusperren und zu schauen, dass sie da nicht ausbrechen. Er sagt auch zum Beispiel, diese Sicherung, die funktioniert extrem gut. Es ist sehr, sehr selten, dass jemand ausbricht, auch zum Beispiel aus dem offenen Vollzug. Also da sind die Zahlen sehr klein von Personen, die nicht mehr zurückkehren. Also das sagt er mir so, das kann man sich wirklich auf die Fahnen schreiben, also die Sicherung, dass das klappt.
[28:46]Und gleichzeitig sind diese Strukturen natürlich auch orientiert an den gefährlichsten Gefangenen und ich habe zu Beginn gesagt, also fast die Hälfte ist irgendwie, Betrugsdelikte oder Vermögensdelikte sowas das ist halt die Frage, muss man diese Leute so einsperren und da werden natürlich dann alle sozusagen über einen Kamm geschert.
[29:12]Einerseits zu Recht, also du kannst du natürlich da nicht irgendwie Sonderbehandlungen machen. Und gleichzeitig ist es natürlich auch sehr, sehr ungerecht. Und er sagt auch, es gibt zwar keine Kollektivstrafen, aber natürlich leiden auch andere Insassen. Also wenn du irgendwie Mist baust im Gefängnis, dann haben die anderen indirekt durch die Folgen natürlich trotzdem auch zu leiden. Sei es wegen, weil was nicht mehr gewährt wird, weil Anträge abgelehnt werden und so weiter.
[29:41]Ja, ich finde ganz wichtig und das habe ich mir, also muss ich mir dann auch immer wieder vor Augen führen, ist, die meisten Gefangenen haben sehr, sehr viel mehr Zeit in Freiheit vor sich als in Gefangenschaft. Also es ist wirklich, die meisten kommen halt irgendwann wieder frei. Sei es noch auch schwere Straftäter, ja, sind meistens irgendwann wieder frei. Und es ist einfach, ja, seltsam so, wenn man sich denkt, okay, jemand ist ausgebrochen und dann besteht wie eine Gefahr oder es geht eine Gefahr von dieser Person aus. Ausgeklammert sind natürlich irgendwie, ich sag mal, Pädophile, Sexualstraftäter und so, die vielleicht, ja, die aus sehr niederen Motiven, sag ich mal, Strafen begangen haben. Und er sagt dann auch, er klammert die immer so ein bisschen weg. Aber die machen auch einen ganz kleinen Anteil aus. Aber die allermeisten, von denen geht ja nicht unbedingt eine Gefahr aus oder nicht mehr, wenn sie aus der Haft fliehen, als wenn sie sonst in Freiheit sind.
[30:47]Ja, das sind dann so Momente, wo die Kriminalität im Grunde ein Ausdruck von einer psychischen Erkrankung halt tatsächlich ist, irgendwie so ein unmittelbarer, die natürlich dann vermutlich auch nicht therapiert wird. Genau, ja, ich finde das interessant, weil er nennt das nicht psychische Erkrankung, aber sagt schon, dass sich das einfach sehr, sehr stark entfernt von, ich weiß nicht, ob er normalmenschlich oder irgendwie so Verhalten sagt. Also, dass du wirklich das nicht nachvollziehen kannst, wie das passiert. Und eben, also, dass dort würde er, also, ja, dort macht er auch eine Grenze, wie gesagt.
[31:24]Aber auch da sagt er, es ist eigentlich nicht, ja auch da ist die Haft, wie sie jetzt durchgeführt wird, eigentlich nicht sinnvoll. Also auch eine lebenslange Verwahrung sei mal dahingestellt, ob das überhaupt menschenwürdig ist, ob man das einfach als Staat so entscheiden kann. Aber auch das müsste anders gestaltet werden. Und wenn er so spricht, dann sagt er eben, das Gefängnis hat nicht nur eine Symbolwirkung für die Gesellschaft, also was machen wir oder wie strafen wir oder wie sperren wir Leute weg, sondern ganz generell, wenn ein Staat sich das rausnimmt zu entscheiden, wie wir das machen, hat Symbolwirkung. Und klar ist das irgendwo durch den Ausdruck eines gesellschaftlichen Bedürfnisses. Aber die Frage ist halt, ist das immer noch aktuell? Wir werden ja nicht ständig gefragt, finden wir das gut oder nicht? Und die Diskussion hast du in den USA ein bisschen, du hast es angesprochen, ich kenne es halt nur von der Todesstrafe eigentlich, dass das natürlich immer wieder ein Thema ist. Und er sagt auch da, das hat schon auch eine starke Symbolwirkung. Wenn du als Staat halt sagst, ich darf Menschen töten. Ja. Also ich…
[32:42]Im Endeffekt ist das eine Machtbeziehung, eine Machtäußerung, eine Darstellung. Ja, ja. Auch das, da wird ja oft auch argumentiert und gesagt, ja, das hat eine abschreckende Wirkung, also die Härte der Strafe oder eben die Todesstrafe und da sagt er nicht, das ist so nicht belegt. Also man kann nicht sagen, dass das irgendwie einen Zusammenhang hat, sondern was eigentlich viel einen höheren Zusammenhang hat, ist die Wahrscheinlichkeit der Entdeckung der Tat. Also ganz viele gehen sowieso davon aus, dass sie nicht gefasst werden oder nicht. Und das ist dann viel wichtiger, als jetzt zu überlegen, wie hoch fällt denn meine Strafe auf, wenn ich das und das tue. Stimmt.
[33:36]Er meint auch dann, ja, Schuld und Vergeltung ganz grundsätzlich ist eigentlich ein überholtes Prinzip. Ja, unser Vergeltungsbedürfnis möchte eigentlich Einsicht und Reue bewirken. Und das wird halt einfach nicht unbedingt durch eine Haft gefördert. Also klar, wenn du jemanden einsperrst, ich sage mal gegen seinen Willen in der Regel, dann kannst du es ja nicht erzwingen. Also wie willst du die Person, wie willst du wissen, ob diese Person jetzt irgendwie Reue oder Buße empfindet, wenn sie einfach weggesperrt wird. Das leuchtet mir schon ein, dass es nicht unbedingt funktionieren kann.
[34:24]Und worauf er raus will, ist glaube ich zu sagen, dass es dieses Bedürfnis, insbesondere auch wenn man mit Opfern spricht, ist eben nicht einfach, man will jemanden wegsperren. Also auch sie sagen, es ist oft wichtiger, dass man das wieder verhindert, also dass man präventive Maßnahmen machen kann, einfach das reine aus der Gesellschaft rausnehmen, das hilft eigentlich niemandem.
[34:55]Und da gibt es wohl ein sehr großes Problem im derzeitigen System, dass das einfach nicht, also dass diese Kommunikation auch zwischen Tätern und Opfern, auch wenn die, ich sag mal, gewünscht ist, dass die nicht stattfindet. Also das einerseits liegt da auch ein Datenschutzgrund dahinter, sodass man natürlich nicht einfach jemandem sagen kann, die Person ist jetzt in dieser Haftanstalt eingesperrt. Also das ist, ja, kann man nicht einfach offenlegen. Und gleichzeitig ist auch mit sehr vielen Fragen verbunden, ja, wenn ein Opfer da, ich sag mal, zu Besuch kommt, ja, wie wird das gesichert und so weiter und so fort. Das sei wohl sehr, sehr schwierig.
[35:45]Und auch eine Wiedergutmachung, jetzt sagen wir mal, die bei vielen Delikten eigentlich möglich wäre, wie zum Beispiel bei Vermögensdelikten oder bei Diebstahl oder so, das wird einfach nicht, das wird verhindert. Also das wird gar nicht in Erwägung gezogen. Und einerseits wird das verhindert dadurch, dass man eben mit einem Euro am Tag oder wie auch immer, kann man natürlich keine Schulden zurückzahlen. Und gleichzeitig aber auch Personen, die das könnten, müssen das nicht. Ich glaube, er nimmt als Beispiel da Uli Hoeneß, der wegen fast 30 Millionen Steuerschulden dann auch ins Gefängnis kommt und dann sagt er auch, ja, also das hat den Steuerzahler extrem viel Geld gekostet.
[36:28]Anstatt dass er einfach das zurückzahlen muss oder in irgendeiner Form wiedergutmachen kann. Mit Faktor X. Ja, zum Beispiel, genau. Und ja, das finde ich schon, finde ich durchaus einen validen Punkt. Auch diese Verschiebung, das drückt dann immer so wieder ein Buch durch, von weg eigentlich von der Tat oder vom Täter oder von der Täterin hin auch zum Opfer und der Beziehung zwischen Täter und Opfer oder was braucht das Opfer oder was möchte das Opfer. Das wird halt wie eigentlich gar nicht abgedeckt.
[37:05]Ja, da gibt es ja diese Gedanken von Täter-Opfer-Ausgleich, solche Ansätze. Ich weiß gar nicht mehr, wo ich das mal gesehen habe, dass das Opfer auch ein Mitspracherecht hat sozusagen, ob es irgendwie den üblichen Strafbewehrungsgefängnisweg geht oder irgendwie eine andere Ausgleichsform sozusagen verhandelt werden kann, abgesprochen werden kann. Das fand ich einen ganz spannenden Ansatz, der genau so ein bisschen in diese Richtung dann auch geht. Ja, das nennt er dann, er nennt zwei Ansätze. Einerseits die Restorative Justice und Transformative Justice. Das ist das.
[37:45]Genauso ist es wie weg, ich sag mal, die Verletzung, es wird nicht eine Verletzung von einem Gesetz dann angesehen, sondern eine Verletzung von einer Beziehung zwischen Menschen. Und was wurde verletzt, wer wurde verletzt, was brauchen die Betroffenen, wer ist in der Verantwortung, sich um was zu kümmern, das ist dann so der Ansatz. Und ich glaube auch eine seiner Ideen geht auch in diese Richtung, wo es halt darum geht, dass ein Gremium zum Beispiel Fälle bespricht, also dass nicht mehr nur das Gericht ein Entscheid fällt, sondern dass das Umfeld viel stärker mit einbezogen wird, dass die Opfer mit einbezogen werden, Dass Psychologen, PsychiaterInnen mit einbezogen werden, dass auch der Täter oder die Täterin mit einbezogen wird. Nicht unbedingt, um jetzt seine oder die Strafe, sage ich mal, abzumildern, aber auch, um Input zu geben. Oder was könnte man, und das auch andere, das fand ich ganz wichtig, andere Straffällige auch mit einbezogen werden. Also man kann ja auch da die Expertise holen, was hat genützt, was fandet ihr gut sozusagen und welche Maßnahmen sind halt sehr schädlich. Und das klingt, dieser integrative Ansatz klingt natürlich viel versprechender als das, was er so kritisiert am aktuellen System. Ja.
[39:07]Ein guter Punkt finde ich auch, dass dieses Stigma des Ex-Knackis natürlich an den Leuten einfach haften bleibt. Also ganz grundsätzlich könnte man sagen, wenn du deine Haftstrafe abgesessen hast, dann bist du eigentlich wieder quitt. Also dem Staat gegenüber, der Gesellschaft gegenüber, du hast deine Schuld abgesessen und das findet halt einfach nicht statt. Also es ist, du bist, wenn du mal da drin warst, dann ist das einfach, ja, das haftet dann an dir. an dir. Ich glaube, da ist auch, so was ist in Deutschland auch noch ein bisschen weniger ausgeprägt als jetzt wieder im Kontrast in den USA, wo es ja bis dahin geht, dass irgendwie Wahlrecht entzogen wird, passives oder auch aktives. Oder dass die berüchtigten Sex Offender Registers, wo man dann irgendwie drin verortet ist und gleich mal dafür sorgt, dass Immobilien im Umkreis weniger wert werden und all solche Dinge. Ja, krass. Ja, eben, Ich weiß nicht, wie das in Deutschland genau ist, aber ich kann mir schon gut vorstellen, dass natürlich trotzdem, also wenn man das mal im Lebenslauf hat, dann wirst du das nicht einfach so wieder los. Definitiv.
[40:25]Und ja, eben diese Verschiebung des Konflikts finde ich auch ein guter Gedanke, eben weg jetzt zwischen Täter und Justiz, sondern eben zwischen Täter und Opfer. Also dass man das mehr in den Blick nimmt. Und er sagt natürlich auch immer wieder, ja, man muss man die Opfer auch schützen in erster Linie. Es geht natürlich nicht, dass man sie da auch einbinden möchte oder tut, wenn das nicht gewünscht ist.
[40:55]Aber eben das auch da kommt ganz, ganz drauf an, wer oder was für Straftaten da vorliegen. Es gab wohl ein sehr, sehr krasses Beispiel von einem in einer Anstalt, wo ein Täter eine, ich weiß nicht, ob es eine Psychologin war oder jemand, der eine Therapiegruppe geleitet hat, hat sie eigentlich gekidnappt oder eingesperrt im Zimmer und dann irgendwie Forderungen gestellt und so weiter. und die Person wurde dann mehrfach vergewaltigt. Ich erinnere mich. Das habe ich natürlich über die Medien irgendwie, irgendwo klingelte was bei mir. Okay. Ja, und am Schluss, also er konnte dann gefasst werden und die Person hat dann auch ein Buch darüber geschrieben. Also das Opfer hat ein Buch geschrieben über die Erfahrungen und hat wohl auch einen Brief verfasst an den Täter. Und der wurde aber nie zugestellt. Also der ist wohl in diesem Buch abgedruckt, wurde aber nie zugestellt, auch mit der Begründung, dass das seinen Therapieerfolg irgendwie gefährden könnte oder irgend so was.
[42:00]Und ja, das ist natürlich schon irgendwie schwierig. Also wenn du auch als Opfer, kann ich mir schon vorstellen, eine gewisse Bedürfnisse hast, dich vielleicht etwas dem zu stellen oder zumindest dich mitzuteilen, wie sich das für dich angefühlt hat. Und wenn das nicht mal das irgendwie geht. Ja.
[42:27]Ja, ich finde einen sehr, sehr wichtigen Punkt, den er erwähnt und das, was du vorhin auch schon angesprochen hast, ist das Milieu. Also das Milieu ist eigentlich, also ja, ich sage mal, die meisten der Personen, die in Haft sitzen, kommen aus unteren sozialen Schichten, haben schwierige Familiensituationen, Lebensläufe und das macht halt diese Begründung, dass sich jemand frei für eine Straftat entschieden hat, ja, das ist halt in den allermeisten Fällen ungerecht. Recht. Frei dafür entschieden, also das sind ja gleich zwei Worte, die man in fast allen Fällen kräftig diskutieren kann, frei und entscheiden.
[43:15]Ja, absolut. Und er sagt auch, und das kann ich auch sehr gut nachvollziehen, es fällt auch vielen Betroffenen, also Betroffenen jetzt Tätern, von einer Haftstrafe Betroffenen so schwer. Wo wir bei Euphemismen sind. Ja, genau.
[43:35]Es ist halt schwierig zu akzeptieren, dass man schuldig ist, wenn einfach ausgeklammert wird, was man selbst erlebt hat. Also, dass das oft nicht berücksichtigt oder das wird nicht berücksichtigt, auch im Strafmaß zum Beispiel. Also es ist wie, es wird einfach, man geht nur von der Tat aus und dann wird daran die Schwere oder die Länge einer Haftstrafe ermittelt, ganz unabhängig davon, dass die Person vielleicht selbst sehr benachteiligt war und welche Gründe wirklich zur Tat geführt haben. Das ist so wahrscheinlich nicht ganz der Fall. Also ich gehe schon davon aus, dass Kontext natürlich eine Rolle spielt.
[44:17]Aber ich verstehe schon, wenn es darum geht, dass man irgendwie Reue oder sowas erreichen möchte und sich selbst aber als Verliererin in der Gesellschaft sieht und auch ein bisschen stückweit zu gewissen Taten gezwungen wurde, ich sag mal, im weitesten Sinne, dass das schwierig ist, dann irgendwie da Reue zu empfinden dafür. Ja, klar.
[45:09]Wenn wir davon ausgehen, dass wir unter ähnlichen Umständen eigentlich genauso gehandelt hätten. Verstehe ich. Und das finde ich eigentlich ein sehr gutes Argument gegen dieses Schuldkonzept. Ja, ja. Also da hört halt die Schuld irgendwo durch, irgendwann auch auf und kann nicht mehr herangezogen werden als Argument. Ja. Es ist generell wieder diese komplette Individualisierung sozusagen von Schuld. Also ich meine, es ist schon so ein bisschen, Ah, das stieß jetzt tatsächlich ein bisschen an dieses How Emotions Are Made Buch an, wo es ja auch darum geht, wo kommt irgendwie jetzt so ein Gewaltausbruch zum Beispiel, wo kommt der eigentlich her, was ist eigentlich ursächlich davon, ist der wirklich dem Individuum zuzuschreiben oder irgendwie hat da nicht auch eine Gesellschaft Schuld, die so wenige gesunde Bilder von Maskulinität zum Beispiel irgendwie anbietet oder so. Also diese ganzen Kontexte spielen ja dann auch da so ein bisschen mit rein.
[46:07]Ja, ja, total. Ja, und diese Individualisierung, das sagt er auch, diese Exklusivität, die Schuld impliziert, die existiert so natürlich nicht. Es sind immer, seien das Mitschuldige im wahrsten Sinne des Wortes, also die eine Tat mitbegehen oder einfach das Umfeld. Also eben, wir sind als Gesellschaft immer ein Stück weit mitschuldig.
[46:34]Geht der da auch auf ökonomische Situationen ein? Im Sinne von, ich musste halt klauen, um zu essen zu haben. Oder ich sitze halt im Knast, weil ich meine Strafe fürs Schwarzfahren nicht zahlen kann. Ist das auch Thema? Ja, er sagt durchaus, dass es halt eigentlich eine Ungerechtigkeit hier auch im Kapitalismus gibt. Dass auch Vermögen zum Beispiel ohne Leistung erworben werden kann und weitergegeben werden kann. Ungerechtigkeiten dadurch noch vergrößert werden. Und das auch wiederum zu Frustration führt und auch Gründe schafft, weshalb man gegen strafrechtliche Normen verstößt. Also schon eben auch dieses Schwarzfahren, das ist jetzt zum Beispiel etwas, was er komplett abschaffen würde. Okay, ja.
[47:47]It is legal for a fee. Also wenn es quasi nur mit einer Geldstrafe bestraft wird, dann ist es eigentlich nicht bestrafen, sondern es ist halt legal und kostet halt. Ja. Fand ich ein schönes Bild irgendwie. Ja, ja, genau. Und das ist auch, das wusste ich nicht und fand ich auch, finde ich schon irgendwie krass, dass sehr viele Geldstrafen, die nicht bezahlt werden können, das mündet dann in der Ersatzfreiheitsstrafe. Und das ist halt einfach, also man kann sich ja denken, wer das dann antreten muss. Das ist ja, glaube ich, dieser Gedanke der Tagessätze. Genau, ganz genau. Du musst halt den Tag entweder bezahlen, das ist tatsächlich aber einkommensabhängig, wie hoch dieser Satz pro Tag dann ist, oder du musst ihn absitzen. Genau. Ist auch wieder klar, wer das eher bezahlen kann, als wer nicht. Genau, und auch da sagt er, das ist halt völliger Unsinn, weil das sind ja meistens dann nicht irgendwie lange Haftstrafen, Aber trotzdem, wenn du irgendwie 60 Tagessätze hast, dann sind das zwei Monate. Und die zerstören einfach schon so viel von deinem Umfeld oder die Tatsache, dass du in Haft bist, eben zum Beispiel verlierst du den Job, was auch immer, dass es einfach kompletter Unsinn ist, das überhaupt als Option gelten zu lassen. Dass es das überhaupt gibt. Und es ist auch ein sehr, sehr großer Teil.
[49:14]Dieser Ersatzhaftstrafen machen das aus. aus allen Inhaftierten, ja.
[49:21]Ja, er sagt eben, ja, es gibt Alternativen. Das ist dann so seine, die Strafe der Zukunft nennt er das. Okay. Argumentiert schon auch sehr ökonomisch, sagt ja. Das kostet alles sehr viel, wie wir das jetzt haben. Das können wir billiger. Sagt auch, dass die Infrastruktur, die ist bereits geschaffen. Also wir haben die Menschen, die sich damit auskennen, die ExpertInnen, die diese Leute betreuen können. Auch in ausreichender Zahl? Er sagt ja, aber das ist nicht, ja, also ich finde jetzt auch die Berechnungen, das sind einfach irgendwelche Zahlen, ob das 130 Euro pro Tag kostet oder 80, das ist einfach so dahingeschrieben. Ich nehme an, er hat seine Gründe, wie man das ausrechnet, das wird aber nicht transparent dargestellt. Oder vielleicht irgendwo in den Fußnoten, die ich nicht so genau gelesen habe, aber ja.
[50:20]Ja, grundsätzlich sein der Tenor ist, dass es alles eigentlich billiger würde, vielleicht kurzfristig natürlich nicht, wenn man es gerade umstellt, aber längerfristig auf jeden Fall auch wegen der Präventivwirkung. Aber das ökonomische Argument ist nicht sein Kernargument, sondern es ist schon, das ist auch noch billiger, also es ist sowieso schon besser und es ist dazu auch noch billiger oder ist sein Argument tatsächlich, das ist billiger, Punkt. Nee, das ist ein Mitargument. Also ich glaube, ich finde schon, er legt auch sehr viel Wert eben auf dieses, einfach auf den Grund, ich glaube, das ist der erste oder Grundsatzartikel im, nee, der erste Artikel im Grundgesetz, also Menschenwürde wirklich. Und da sagst du einfach nicht menschenwürdig. Ja. Also, dass die Haft so, und das ist schon, finde ich, dringend sehr stark durch.
[51:06]Und dann eben auch die Prävention und eben einfach die Resozialisierung, also, dass man die Ziele, die die Haft haben sollte, nicht erreicht wird. Und das alles ginge dann eben noch günstiger, so. So, was er eben anstrebt, ist, dass man einerseits den Justizvollzug transparenter gestaltet. Ja. Also nicht, wie gesagt, das ist ein gesellschaftliches Bedürfnis eigentlich, das damit bedient wird, mit Haftanstalten. Und man ist aber sehr darauf bedacht, dass das so dargestellt wird, wie man das gerne hätte. Und zum Beispiel Insassen oder Insassinnen kommen sehr, sehr selten zu Wort. Ja. Also auch Medien, es ist schwierig, da irgendwie zu Informationen zu gelangen.
[51:54]Und ja, das müsste unbedingt anders und transparenter eigentlich gestaltet werden. Dann sagt er ganz generell, wie gesagt, Haftstrafen bräuchte es in dieser Form eigentlich gar nicht mehr, sondern man könnte das alles öffnen. Also man plädiert sehr stark für einen offenen Vollzug. Sei es beispielsweise, dass Personen in, das gibt es wohl schon für Jugendstraftäter, dass man in einem, auf einem Hof mit Pflegeeltern und deren Kindern zusammen wohnt und dann auch dort arbeitet und so weiter. Und so natürlich auch in ständigem Kontakt ist. Also man muss seine Emotionen irgendwie regulieren können. Wenn man auf etwas negativ anspricht, dann wird das gleich thematisiert. Das ist nicht so wie in der Haftanstalt, wenn du Besuch kriegst von deinem alkoholkranken Vater und danach, also dann bist du wieder auf dich allein gestellt die nächsten 23 Stunden. Das hilft irgendwie nicht so sehr. Und da sagt er natürlich, das sind Ansätze, die sehr viel vielversprechender wären. Ja, die gibt es aber wohl in Deutschland so nicht für Erwachsene, sondern ich weiß gar nicht, ob es in Deutschland für Jugendliche sind, aber ja, auf jeden Fall sehr wenig.
[53:12]Und ganz generell eben den offenen Vollzug auch, dass man zur Arbeit gehen kann, dass man gemeinnützige Arbeit als Alternative zur Inhaftierung auch anbietet. Anbietet, also nicht wohl viel mehr, als das bisher geschieht, also nur ganz wenige leisten gemeinnützige Arbeit, dass das auch einen Bezug zur Tat haben soll. Ja. Also wenn du, keine Ahnung, alkoholisiert Auto fährst oder so, dass du dann eben in einer Unfallklinik aushelfen musst oder sowas. Ja. Das hat natürlich auch seine Grenzen bei gewissen Straftaten, aber ganz grundsätzlich. Oder Steuerhinterziehung, da musst du halt in einen, ich sag mal, steuerfinanzierten Betrieb gehen und helfen. Dann siehst du auch, wo dein Geld verwendet oder wofür das verwendet wird. Er sagt eben, diese Ersatzfreiheitsstrafe müsste eigentlich komplett gestrichen werden.
[54:11]Und es gibt auch mittlerweile natürlich technische Möglichkeiten, also sei es zum Beispiel diese elektronische Fußfessel, die sehr gut eigentlich funktionieren kann. Und auch dort geht es nicht um die Apparatur an sich, sondern auch wieder um das Netz. Also die Person wird betreut, begleitet und so weiter. Ja, macht Sinn. Ja. Auch die Schadenswiedergutmachung sollte an erster Stelle stehen. Also man sollte den Personen die Möglichkeit geben, eine Wiedergutmachung zu ermöglichen. Und ja, einfach generell dieses Aufbrechen von diesen Clans in Haft, also diese Subkultur, die da entsteht, das alles, das thematisiert ja natürlich auch. Auch ich habe das jetzt hier nicht so dargestellt, weil ich glaube, das kann man sich so denken. Das kennt man auch aus den Filmen, aus Serien, wie das abläuft. Und das ist natürlich, das sagt er auch, also die Justizbeamten, ein Großteil davon ist beschäftigt, einfach Drogenhandel im Gefängnis irgendwie zu verhindern. Aber das geht halt irgendwie einfach nicht, weil man kann sie einfach nicht hundertprozentig überwachen. Muss man, sollte man ja auch nicht. Aber dass man das wie ein bisschen aufbrechen kann.
[55:34]Er findet ganz generell auch Entkriminalisierung von Drogen- und Bagatelldelikten, also Schwarzfahren und so, finde ich auch. Wieso sollte man dafür ins Gefängnis? Das ist irgendwie komisch, absurd. Und bei Drogen sagt er auch, das sind halt Gesundheitsrisiken, das ist einfach keine Sache des Strafrechts. Ja, finde ich auch zu Recht. Das ist auch sowas, habe ich mir jetzt als, ja, ich kenne das Thema ja nicht so gut, aber das habe ich mir nie so überlegt, dass es ja eigentlich unterschiedliche Rechtsformen auch gibt und das illegal nicht einfach illegal ist. Das sagt er ganz stark. Klar, die Haft müsste eigentlich wirklich, ich sage mal, schweren Fällen vorbehalten sein und alles andere müsste eigentlich anders gelöst werden können. Beim Thema Drogen ist das ja so ein bisschen der Ansatz, den Portugal fährt, wo Drogensucht eben keine Sache der Strafbarkeit ist, sondern eine Sache des Gesundheitssystems und auch als solche eben behandelt wird.
[56:37]Ja, und auch da ist es natürlich auch, bringt dann einige Beispiele, wo so, ich sag mal den Status Quo und dann wie könnte dieser Fall aussehen, wenn wir ein besseres System hätten. Und da ist auch klar, also in der Haft darfst du zum Beispiel kein Cannabis konsumieren. Aber in Freiheit darfst du das halt. Also es ist wie, wieso sollte eine Person, die sich halt ab und zu einen Toint gönnt, das nicht tun dürfen? Und es ist verständlich, dass man das in der Haftung nicht tolerieren kann, weil die Institution sonst nicht funktionieren würde. Und trotzdem könnte man das in einem offenen Vollzug, ohne dass jetzt diese Person zwingend dadurch straffällig werden müsste. Ja, aber es liegt natürlich, es liegt das Funktionieren der Organisation. Oder der Institution legt es vor seine eigentliche Funktion. Ja, genau. Und das ist halt eben einer seiner größten Kritikpunkte.
[57:38]Ja, ein letztes, was er noch sagt, ist, dass es auch finanziell ein Problem ist, dass natürlich zum Beispiel Rechtsanwälte sehr viel Geld verdienen. Und ein Vorschlag von ihm wäre, wäre, dass man sowohl Tätern als auch Opfern Beistände zur Verfügung oder zur Seite stellt, die auch vom Staat bezahlt werden und eben keine Rechtsanwälte, weil das Geld in diesen Momenten eigentlich keine Rolle spielen darf. Und dass man ja auch den Opfern eigentlich lebenslange staatliche Hilfe anbietet. Also dass man die auch nicht einfach dann auf sich alleine stellt und eben ein bisschen weg vom Täter hin zu den Opfern. Also den Blick ein bisschen verschiebt. Es gibt interessanterweise in der Schweiz einen Psychiater, der heißt Frank Aubagnoc. Der wurde auch so ein bisschen, ich sage genau, den Gegenpol zu diesem Autor wurde, ich glaube, als der Wegsperrer der Nation bezeichnet oder so.
[58:41]Ja, auch ein bisschen umstritten. Er hat wohl so ein Prognose-Tool entwickelt, die die Rückfallquote vorhersagen soll. Ja, und auch ihm wird dann vorgeworfen, genau das. Dass er sich eigentlich zu sehr auf die Täter fokussiert und zu wenig vielleicht auf die Opfer, auf diese Beziehung. Ja, genau. Und das sind so seine Vorschläge. Und dann er nennt, das hast du auch schon gesagt, die skandinavischen Länder insbesondere als Vorbild, wo es eben diesen offenen Vollzug viel stärker schon gibt. Aber auch eben diese offenen oder anderen alternativen Formen des Zusammenlebens, das eben nicht in so Haftanstalten ist, stattfindet, sondern zum Beispiel in Niederlanden gibt es Longstay, heißt das, da lebt man so in, ich sag mal, in großen WGs fast schon zusammen. Und da gibt es zwar schon einen Zaun weit außerhalb und ich glaube auch einen Wasserkraben, aber darin sind die Gefangenen relativ frei und haben nicht so das, ja, wie das wohl jetzt ist, irgendwie nur diese eine Stunde Ausgang pro Tag, die gewährt wird und so. Und das schlägt er eben auch vor für, ich sag mal, sehr schwere Straftaten, dass das eine Möglichkeit wäre. Potenziell Sinn, ja. Ja.
[1:00:11]Ja, das wäre es eigentlich gewesen. Ein Überblick über dieses Buch. Es ist, wie gesagt, es geht jetzt nicht theoretisch irgendwie irgendwo in die Tiefe. Aber ich fand es trotzdem ganz anregend zu lesen, weil das Thema einfach, ja, ich habe das nicht so präsent.
[1:00:34]
Mehr Literatur
[1:00:34]Ja, es ist wieder eines dieser Folgen, wo wir am Anfang sagtest du ja auch, also im Vorgespräch, es wird wahrscheinlich nicht so eine lange Folge werden und dann gibt es halt doch immer noch genug zu erzählen und zu denken und zu diskutieren. Das ist ein spannendes Thema, definitiv. Und ja, mache ich mal den Anschluss, woran es mich so erinnert hat. Ich habe am Anfang auch so gedacht, oh Gott, woran erinnert mich das? Was ist irgendwie anschlussfähig bei uns im Podcast? Und bin auch immer noch nicht so ganz glücklich mit den Ideen, die ich hatte.
[1:01:06]Als erstes vielleicht, was gerade beim Lesen, beim dir Zuhören entstanden ist, ganz stark.
[1:01:12]Das Buch Wie Gefühle entstehen von Lisa Feldman Barrett in Episode 69, wo es eben genau darum geht, auch so um die Frage, wenn wir dieses andere Modell auf Emotionen, was sie vorstellt, ernst nehmen, dann müssen wir im Grunde auch so Themen wie Schuld, neu denken, weil wir dann einen viel höheren gesellschaftlichen, Anteil in der Verantwortung sozusagen haben, weil beispielsweise jetzt Du hast es angesprochen, 94 Prozent der Gefängnisinsassen Männer sind, dass das vielleicht auch was damit zu tun hat, wie schlecht wir als Gesellschaft darin sind, irgendwie gesunde Bilder von Männlichkeit vorzuleben und zu bewerten, was dann eben zu Gewaltverbrechen oder irgendwelchen Verbrechen aus Unsicherheit sozusagen auch einfach, die natürlich massiv fördert. Ein bisschen mehr so dieser Punkt, dass man so ein bisschen an den, ich will nicht sagen den Rand der Gesellschaft, weil das klingt wieder so negativ, aber in so Bereiche reinguckt, die dem, was man so üblicherweise Normalgesellschaft nennt, so ein bisschen gering geschätzt werden, muss ich tatsächlich gleich an die letzte Folge denken, im Minusbereich von Jana Kostas, wo Christoph so ein bisschen Einblick in die Welt der Reinigungskräfte gibt, Was ja auch so ein gesellschaftlich eher gering geschätzter, ein bisschen abgewerteter Bereich ist. Natürlich nicht ganz so vergleichbar mit dem Gefängnis, aber eben vielen Dynamiken, was gesellschaftliche Wertschätzung und so weiter angeht, vielleicht doch näher dran, als einem das lieb wäre.
[1:02:39]Und dann habe ich noch drei Bücher, die wieder ein bisschen theoretischer sind, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen. Das erste ist hier aus dem Podcast, das haben wir vorgestellt, das ist sozusagen nochmal diese Gefängnisstrukturen ins massive Extrem getrieben. Das ist in Folge 10 von Wolfgang Sowski, die Ordnung des Terrors. Er ist im Grunde eine Organisationsanalyse von Konzentrationslagern. Das finde ich einen sehr gefährlichen Ansatz irgendwie, weil es auch Gefahr läuft, das zu banalisieren, aber das tut Wolfgang Sowski in dem Buch natürlich nicht. Dass da auch nochmal einen Einblick gibt. Dann ein Klassiker natürlich, wenn man jetzt soziologisch da drauf guckt, Foucault, Überwachen und Strafen.
[1:03:23]Das ist ja, glaube ich, so ein Buch, wenn man dann in die Theorie einsteigen will. Ich weiß nicht, ob du es im Vorgespräch genannt hattest oder jetzt hier im Podcast schon, aber das war auf jeden Fall auch ein Buch, was mir auch eingefallen wäre. Und auch so aus der soziologisch-theoretischen Richtung von Irving Goffman, das Buch Asyle über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen. Da entwickelt er vor allem den Begriff der totalen Institution. Also im Grunde einer von Einrichtungen, die das Leben ihrer bewohnten Insassen, wie auch immer man sie nennen will, im Grunde komplett umfassen und komplett dominieren und bestimmen. Und im Grunde da sämtliche Freiheit und Eigenverantwortung rausziehen, was du ja auch angesprochen hast. Das ist da auch so ein theoretischer Klassiker eben von Irving Goffman.
[1:04:10]Genau, das waren so die Ansätze und Ideen, die mir gekommen sind. Hast du noch was? Ja, vielen Dank. Ich hätte noch eine Folge, und zwar Folge 36 Inklusion und Exklusion von Robert Stichweh. Einfach, ja, weil eben dieses Milieuthema und dieses Machtthema natürlich sehr, sehr stark präsent ist und das dort auch behandelt wird. Von Büchern habe ich eines, das heißt Das Böse, geschrieben von Luke Russell. Das ist beim Reklamverlag erschienen. Das ist irgendwie so eine philosophische Reihe, wo er das ein bisschen durchdekliniert. Also was ist das Böse? Wer ist böse? Ist das angeboren? Wird man böse? Ja. Ich war, als ich es gelesen habe, zuerst gar nicht so begeistert vom Buch. Aber ich habe doch gemerkt, dass vieles eigentlich dann hängen geblieben ist. Ich glaube, ich werde es noch mal lesen. Es bleibt sehr vage im Sinne von, man muss sich halt auch ein bisschen selbst daran abarbeiten.
[1:05:11]Aber eigentlich trotzdem interessant, weil es die Frage natürlich sehr spannend ist. In diesem Sinne auch das Böse, die Banalität des Bösen von Hannah Arendt. Auch weil du jetzt vorhin das Buch von Zofsky erwähnt hast. Passt auch gut dazu. Ja, passt natürlich auch. Auch und sonst als Nicht-Sachbuch, eines meiner absoluten Lieblingsbücher, das perfekt zum Thema passt, Verbrechen und Strafe von Dostoevsky. Ah, ja. Schuld und Sühne hieß das früher. Das heißt jetzt in der neuen Übersetzung, die ich absolut empfehlen kann. Also ich habe es auch in der alten Übersetzung mal auf Deutsch gelesen und dann aber vor ein paar Jahren auch in der neuen von Svetlana Gaya. Also das ist echt, ich finde das einfach ein unglaublich gutes Buch. Okay.
[1:05:59]Dostoevsky ist immer so dick gleich. Ja, es ist dick, aber psychologisch finde ich das wirklich beeindruckend, wie er das darstellt. Und es geht ja auch um diesen Raskolnikov, der dann jemanden umbringt, ein bisschen auch gegen seinen Willen schon fast und so und dann vereinsamt. Und ja, wie das da aufgearbeitet wird, finde ich schon sehr gut gemacht. Spannend. Ja und Kafka, erwähne ich jetzt auch noch, der Prozess finde ich persönlich das Beste oder mir gefällt es am besten, aber es gibt natürlich auch jene, die zu diesem Systemkritik auch passen oder dieses zum Thema.
[1:06:46]Das wäre es von mir. Mir ist tatsächlich gerade noch ein Artikel, weil ich gerade auch diese Gender-Thematik mehrfach jetzt als Beispiel genommen hatte, kann ich mir nicht verkneifen, einen meiner absoluten Lieblingsartikel überhaupt zu empfehlen. Das ist ein Artikel in The Atlantic, ich weiß nicht, ob der frei online ist oder hinter Paywall, kann ich gerade nicht sagen. The Miseducation of the American Boy von Peggy Orenstein, wo sie eben genau, sehr genau zeigt, wo auch diese dysfunktionale Gender-Identität von Männern herkommt und wie die entsteht und wie die sich reproduziert. Sehr, sehr lebensnah irgendwie, ist ein sehr lesenswerter Artikel, wer sich da nochmal ein bisschen mit beschäftigen möchte. Gerade für uns Männer interessant und spannend zu lesen.
[1:07:32]
Ausstieg
[1:07:37]Gut, dann war es das für unsere heutige Folge 75. Mal wieder irgendwo ein Sprung in irgendeine Welt, über die wir glaube ich jetzt eine Menge gelernt haben. Danke dir, Amanda. Und uns bleibt dann nur, euch auf unsere diversen Plattformen zu verweisen. Unser Hub ist natürlich zwischenzweideckeln.de, unsere Homepage, wo ihr all das findet, was ihr zum Podcast kennen und wissen müsst und wollt.
[1:08:06]Idealerweise, wenn ihr einen Kommentar habt, hinterlasst ihr den einfach da an der Episode, dann kann man auf der Webseite einfach gleich weiter diskutieren. In den sozialen Medien sind wir auch unterwegs, ihr findet uns auf Instagram als atdeckeln, auf Facebook haben wir glaube ich auch eine Seite, wo aber nicht viel mehr passiert, als dass wir die neuen Episoden posten und dann sind wir auch bei Mastodon bzw. Eben Fediverse aktiv, da findet ihr uns als atzzd, atpodcasts.social. Genau, wenn ihr irgendwas habt, lasst es uns wissen, teilt unsere Episoden, kommentiert, antwortet, fragt. Habt da keine Scheu. Und ansonsten hinterlasst uns Sterne und Rezensionen, wo es geht. Abonniert den Podcast im Podcatcher eurer Wahl oder auch in den World Gardens, die es da so gibt. Meistens vermutlich Spotify. Da könnt ihr uns überall hören. Und bis zum nächsten Mal in Episode 76 wünsche ich euch viel Spaß beim Lesen. Tschüss zusammen.
Der Beitrag 075 – „Weggesperrt“ von Thomas Galli erschien zuerst auf Zwischen zwei Deckeln.
Capíttulos
1. Einstieg (00:00:16)
2. tl;dl (00:04:06)
3. Buchvorstellung (00:04:36)
4. Mehr Literatur (01:00:34)
5. Ausstieg (01:07:32)
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