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“Können Gesellschaften aus der Geschichte lernen?” - mit Durs Grünbein und Eva Menasse
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Wenn Gesellschaften aus den Katastrophen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nur beschränkt gelernt haben, wie können wir uns einbilden, mit den aktuellen Krisen adäquat umgehen zu können? - Über die Frage der Lernfähigkeit von Gesellschaften diskutiere ich mit der Schriftstellerin Eva Menasse und dem Dichter Durs Grünbein.
Durs Grünbein machte in den letzten Jahren hinsichtlich des „zentralen Abgrunds des 20. Jahrhunderts, Auschwitz“, eine neue Erfahrung, nämlich: „einerseits sterben die letzten Zeugen“, andererseits sieht er eine grosse Gefahr (..) in einer Neutralisierung der Geschichte, (..) dass eine Menge anderer Diskurse ins Spiel kommen“ und „die Gegenstände gegeneinander aufgehoben werden“. Für Eva Menasse „verhält es sich mit dem Lernen aus der Geschichte ähnlich wie mit vielen andern menschlichen Fähigkeiten, dass sie nur eine Zeit lang anhalten“. „So werden die Lehren aus der Geschichte von Gesellschaften über ein zwei, vielleicht drei Generationen aufgenommen (..) Und dann kommen wieder andere Sachen hoch.“
Auf die generelle Frage, ob man aus der Geschichte lernen kann, sagt Menasse „Deutschland hat etwas gelernt“ und sei „auf eine erstaunliche Weise im Moment noch immun gegen (..) den Zerfall, gegen diese demokratischen Karies und das kann ich mir nicht anders erklären als mit der Impfung, dass drei Generationen durch das tiefe Tal gehen mussten: Was haben wir in der Weltgeschichte angerichtet?“
Kann die Realität heute unter dem Einfluss der Sozialen Medien überhaupt noch richtig wahrgenommen werden, um daraus lernen zu können? Für Eva Menasse ist „für das allermeiste, was wir heute an politischer und gesellschaftlicher Verunsicherung und Extremisierung erleben, direkt zurückzuführen auf die Phänomene der digitalen Moderne (..) Das, was seit ungefähr 2008 über die Welt hereingebrochen ist durch die digitale Massenkommunikation, (..)ist bis heute nicht verstanden worden." Dieser Prozess zerstöre Kommunikation und Diskurs. Dabei werden die Menschen durch die Informationsflut "wahnsinnig überfordert".„Information selber wird zu einem Gift“. Die Folgen seien eine Verunsicherung, eine Wut und eine Unruhe, und daraus eine „kollektiven Skepsis, dass man niemandem irgendetwas glauben muss und dass es Wahrheit vielleicht gar nicht mehr gibt“. Ihr Beispiel sind „die grassierende Impfgegnerschaften“ und daraus die Erkenntnis eines Immunologen: „Wenn es in den Sechziger- und Siebzigerjahre schon die sozialen Medien gegeben hätte, dann hätten wir die Pocken nicht ausgerottet“.
Dagegen hält Grünbein, dass es die Wahrheit nach wie vor gebe, sie sei uns nicht abhanden gekommen. Wir wissen zwar nicht, welche Auswirkungen die digitale Moderne auf die Demokratie habe, selbst wenn „die Begründer des Internets in einem Manifest“ bekennen mussten: „Es ist alles schiefgegangen, sorry“. Trotzdem bleibe er optimistisch, weil man das, „was die Propaganda der Wahrheit entgegenstellt, immer wieder durchkreuzen kann durch Aufklärung. Ich glaube weiterhin daran.“ Dagegen ist Menasse „viel, viel pessimistischer“, weil „wir an einem Zeitpunkt angelangt sind, wo die Gesellschaft viel geschichtsvergessener und geschichtsblinder ist, als je zuvor“. Dem stimmt Grünbein insofern zu, dass er heute die „Hauptkrise in den Akademien, in den Schulen“ verordnet, die mit der Wahrheitsvermittlung überfordert sind.
Trotzdem ist beiden der Optimismus nicht abhanden gekommen, Grünbein: „ich sehe durchaus einen Sinn in der Geschichte, der erschließt sich erst später (..) und dann ist die Bilanz nicht so negativ.
p.s. Korrektur: Bundespräsident Delamuraz sagte 1996: "Auschwitz liegt nicht in der Schweiz" - das war nicht 1986.
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Wenn Gesellschaften aus den Katastrophen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nur beschränkt gelernt haben, wie können wir uns einbilden, mit den aktuellen Krisen adäquat umgehen zu können? - Über die Frage der Lernfähigkeit von Gesellschaften diskutiere ich mit der Schriftstellerin Eva Menasse und dem Dichter Durs Grünbein.
Durs Grünbein machte in den letzten Jahren hinsichtlich des „zentralen Abgrunds des 20. Jahrhunderts, Auschwitz“, eine neue Erfahrung, nämlich: „einerseits sterben die letzten Zeugen“, andererseits sieht er eine grosse Gefahr (..) in einer Neutralisierung der Geschichte, (..) dass eine Menge anderer Diskurse ins Spiel kommen“ und „die Gegenstände gegeneinander aufgehoben werden“. Für Eva Menasse „verhält es sich mit dem Lernen aus der Geschichte ähnlich wie mit vielen andern menschlichen Fähigkeiten, dass sie nur eine Zeit lang anhalten“. „So werden die Lehren aus der Geschichte von Gesellschaften über ein zwei, vielleicht drei Generationen aufgenommen (..) Und dann kommen wieder andere Sachen hoch.“
Auf die generelle Frage, ob man aus der Geschichte lernen kann, sagt Menasse „Deutschland hat etwas gelernt“ und sei „auf eine erstaunliche Weise im Moment noch immun gegen (..) den Zerfall, gegen diese demokratischen Karies und das kann ich mir nicht anders erklären als mit der Impfung, dass drei Generationen durch das tiefe Tal gehen mussten: Was haben wir in der Weltgeschichte angerichtet?“
Kann die Realität heute unter dem Einfluss der Sozialen Medien überhaupt noch richtig wahrgenommen werden, um daraus lernen zu können? Für Eva Menasse ist „für das allermeiste, was wir heute an politischer und gesellschaftlicher Verunsicherung und Extremisierung erleben, direkt zurückzuführen auf die Phänomene der digitalen Moderne (..) Das, was seit ungefähr 2008 über die Welt hereingebrochen ist durch die digitale Massenkommunikation, (..)ist bis heute nicht verstanden worden." Dieser Prozess zerstöre Kommunikation und Diskurs. Dabei werden die Menschen durch die Informationsflut "wahnsinnig überfordert".„Information selber wird zu einem Gift“. Die Folgen seien eine Verunsicherung, eine Wut und eine Unruhe, und daraus eine „kollektiven Skepsis, dass man niemandem irgendetwas glauben muss und dass es Wahrheit vielleicht gar nicht mehr gibt“. Ihr Beispiel sind „die grassierende Impfgegnerschaften“ und daraus die Erkenntnis eines Immunologen: „Wenn es in den Sechziger- und Siebzigerjahre schon die sozialen Medien gegeben hätte, dann hätten wir die Pocken nicht ausgerottet“.
Dagegen hält Grünbein, dass es die Wahrheit nach wie vor gebe, sie sei uns nicht abhanden gekommen. Wir wissen zwar nicht, welche Auswirkungen die digitale Moderne auf die Demokratie habe, selbst wenn „die Begründer des Internets in einem Manifest“ bekennen mussten: „Es ist alles schiefgegangen, sorry“. Trotzdem bleibe er optimistisch, weil man das, „was die Propaganda der Wahrheit entgegenstellt, immer wieder durchkreuzen kann durch Aufklärung. Ich glaube weiterhin daran.“ Dagegen ist Menasse „viel, viel pessimistischer“, weil „wir an einem Zeitpunkt angelangt sind, wo die Gesellschaft viel geschichtsvergessener und geschichtsblinder ist, als je zuvor“. Dem stimmt Grünbein insofern zu, dass er heute die „Hauptkrise in den Akademien, in den Schulen“ verordnet, die mit der Wahrheitsvermittlung überfordert sind.
Trotzdem ist beiden der Optimismus nicht abhanden gekommen, Grünbein: „ich sehe durchaus einen Sinn in der Geschichte, der erschließt sich erst später (..) und dann ist die Bilanz nicht so negativ.
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