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Aus den „Sichtweisen“, Ausgabe 6/2020

In welcher Form lesen geburtsblinde Menschen gerne Bücher? Buchwissenschaftlerin Daniela Preiß wollte es wissen und hat für ihre Doktorarbeit einige interviewt. Die Palette der Antworten ist weit gefächert und reicht von Punktschrift über Hörbücher und E-Books bis zu Büchern in Schwarzschrift. Die Arbeit könnte Grundlage für eine zweite Studie sein, die das Nutzungsverhalten quantitativ analysiert, sagt die Autorin.

Von Daniela Preiß

„Lesen Sie gerne? Brauchen Sie Bücher für Ihren Beruf? Ziehen Sie Braille vor oder einen Text zum Hören?“ Diese und ähnliche Fragen stellte ich 28 Personen, die sich bereit erklärt hatten, mich in meinem Promotionsvorhaben zu unterstützen. Sie sind alle von Geburt an blind, genau wie ich. In Erlangen habe ich Buchwissenschaft studiert und danach, im Frühling 2011, mit meiner Doktorarbeit angefangen. Im Dezember 2019, nach den mündlichen Prüfungen und einer umfangreichen Überarbeitung des Erstentwurfs, konnte ich das Werk schließlich veröffentlichen. Der Titel lautet: „Tasten oder hören, körperlich oder lieber digital? Eine qualitative Analyse zur Lesemotivation blinder Menschen“. Durch theoretische Ansätze gesichert, führte ich Interviews mit 28 geburtsblinden Lesern. Welche Inhalte sie favorisieren, Sachbücher oder Belletristik, wurde nicht ausdrücklich abgefragt, sondern es ging eher um die Medien. Hörbücher gefallen jedem. 19 Leser nehmen Brailleproduktionen, während 17 Schwarzschriftbücher wählen. Das heißt, sie brauchen einen Scanner, um die Texte zu erfassen. Der Aufwand, bis man das gewünschte Buch tatsächlich lesen kann, ist dadurch erhöht. E-Books, wofür sich immer noch elf Akteure entscheiden, werden am Computer oder mit dem Smartphone genutzt. Denn ein Screenreader wie Jaws ermöglicht es, entweder die Braillezeile mitlaufen zu lassen, also Punktschrift mit den Händen zu lesen, oder, passiv, einer Sprachausgabe zuzuhören. Befragt habe ich Viel- und Wenigleser, Männer ebenso wie Frauen. Dabei war meine jüngste Teilnehmerin 20 Jahre alt und die lebenserfahrenste 80, denn für das Meinungsbild sollten die Probanden möglichst repräsentativ zusammenwirken. Ihre Gründe für die Beschäftigung mit Literatur sind äußerst zahlreich, aber auch kleinteilig. Viele Argumente werden nur ein oder zwei Mal genannt. Doch häufig sagen die Interviewten, was auch Sehende in anderen Studien erklären: Sie wollen sich entspannen, unterhalten lassen oder weiterbilden. Woher sie ihre Bücher bekommen? Von meinen Gesprächspartnern werden besonders Einrichtungen geschätzt, die im Handel erhältliche Ausgaben speziell für Menschen mit Seheinschränkungen in barrierefreier Form neu aufbereiten. Übergreifend lassen sich diese Anbieter als „Blindeninstitutionen“ bezeichnen, und 25 Personen suchen sich hier ihren Lesestoff aus. Weiter zugespitzt, beachten zwölf sogar nur diese Möglichkeit. 20 gehen in eine Buchhandlung und zehn berücksichtigen Downloadportale. Von öffentlichen Bibliotheken fühlen sich, zuletzt, bloß sieben überzeugt.

Sicher, die Aussagekraft ist begrenzt. Ich habe nicht mehr als 28 Buchnutzer und -nutzerinnen befragt und das vor mehreren Jahren. Eine erste Tendenz zeichnet sich durch meine Arbeit allerdings ab, nämlich: Blinde Menschen übergehen häufig Anlaufstellen, wo sich Sehende mit Literatur versorgen. Zwar würde ihnen, im Buchhandel oder bei Downloadportalen, weit mehr zur Verfügung stehen, aber genauso gibt es Hürden: dass manchmal eine Begleitperson fehlt, um in einer Buchhandlung zu stöbern. Wege, die man bewältigen müsste, sind Interessierten nicht vertraut. Oder man weiß zu wenig über technische Hilfsmittel, sodass es kaum gelingt, Bücher aus dem Internet herunterzuladen.

Stärker ins Gewicht fallen andere Bereiche. So gibt es die Onleihe – einen Service von öffentlichen Bibliotheken, digitale Medien online auszuleihen. Doch fast die Hälfte der Befragten wusste davon nichts. Außerdem wird das frei zugängliche Sortiment falsch eingeschätzt. Zum Beispiel glauben mehrere Probanden, dass sie außerhalb der Blindeninstitutionen keine Daisy-Bücher finden könnten. Überdies hält mangelnde Barrierefreiheit einige zurück. Sowohl Webseiten als auch die Inhalte von E-Books bleiben ihnen verschlossen. Audio-Books sind häufig gekürzt. Deshalb wünschen sich die Interviewten mehr Verständnis von Verlagen und Buchhandel. Eine erhöhte Sensibilität. Würden sie enger mit den Blindeninstitutionen zusammenarbeiten, könnte man Medien und Vertriebswege für diesen Kundenkreis verbessern. Auch der rechtliche Rahmen könnte gelockert werden. Als Wissenschaftlerin, aber auch als Privatperson meine ich, dass erste wichtige Schritte inzwischen vollzogen sind, aber weitere müssten folgen. In meiner Doktorarbeit habe ich festgestellt, wo die Bedürfnisse blinder Menschen liegen und welche Schwierigkeiten dieser Nutzerkreis erkennt. Meine Arbeit kann damit als richtungsweisend gelten und darauf aufbauend sollte eine zweite Studie folgen, diesmal mit deutlich mehr Befragten und thematisch stärker differenziert. Parallel dazu würde auch die andere Seite zu Wort kommen, etwa Verleger oder Buchhändler. Wie viel wissen sie von dem, was blinde Menschen brauchen, damit ihnen das öffentliche Angebot zugänglich wird? Gibt es vielleicht Vorbehalte, die man verringern könnte? Hierfür, stelle ich mir vor, ließe sich ein neuer Posten installieren. Eine Art Zentrale, die den Austausch zwischen allen Beteiligten fördert.

Dr. Daniela Preiß (34) lebt in Wunsiedel, Oberfranken.

Ein Resümee und die vollständige Dissertationsschrift von Dr. Daniela Preiß findet sich auf ihrer Webseite unter: www.daniela-preiss.de/doktor/doktor.htm

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Von Daniela Preiß

„Lesen Sie gerne? Brauchen Sie Bücher für Ihren Beruf? Ziehen Sie Braille vor oder einen Text zum Hören?“ Diese und ähnliche Fragen stellte ich 28 Personen, die sich bereit erklärt hatten, mich in meinem Promotionsvorhaben zu unterstützen. Sie sind alle von Geburt an blind, genau wie ich. In Erlangen habe ich Buchwissenschaft studiert und danach, im Frühling 2011, mit meiner Doktorarbeit angefangen. Im Dezember 2019, nach den mündlichen Prüfungen und einer umfangreichen Überarbeitung des Erstentwurfs, konnte ich das Werk schließlich veröffentlichen. Der Titel lautet: „Tasten oder hören, körperlich oder lieber digital? Eine qualitative Analyse zur Lesemotivation blinder Menschen“. Durch theoretische Ansätze gesichert, führte ich Interviews mit 28 geburtsblinden Lesern. Welche Inhalte sie favorisieren, Sachbücher oder Belletristik, wurde nicht ausdrücklich abgefragt, sondern es ging eher um die Medien. Hörbücher gefallen jedem. 19 Leser nehmen Brailleproduktionen, während 17 Schwarzschriftbücher wählen. Das heißt, sie brauchen einen Scanner, um die Texte zu erfassen. Der Aufwand, bis man das gewünschte Buch tatsächlich lesen kann, ist dadurch erhöht. E-Books, wofür sich immer noch elf Akteure entscheiden, werden am Computer oder mit dem Smartphone genutzt. Denn ein Screenreader wie Jaws ermöglicht es, entweder die Braillezeile mitlaufen zu lassen, also Punktschrift mit den Händen zu lesen, oder, passiv, einer Sprachausgabe zuzuhören. Befragt habe ich Viel- und Wenigleser, Männer ebenso wie Frauen. Dabei war meine jüngste Teilnehmerin 20 Jahre alt und die lebenserfahrenste 80, denn für das Meinungsbild sollten die Probanden möglichst repräsentativ zusammenwirken. Ihre Gründe für die Beschäftigung mit Literatur sind äußerst zahlreich, aber auch kleinteilig. Viele Argumente werden nur ein oder zwei Mal genannt. Doch häufig sagen die Interviewten, was auch Sehende in anderen Studien erklären: Sie wollen sich entspannen, unterhalten lassen oder weiterbilden. Woher sie ihre Bücher bekommen? Von meinen Gesprächspartnern werden besonders Einrichtungen geschätzt, die im Handel erhältliche Ausgaben speziell für Menschen mit Seheinschränkungen in barrierefreier Form neu aufbereiten. Übergreifend lassen sich diese Anbieter als „Blindeninstitutionen“ bezeichnen, und 25 Personen suchen sich hier ihren Lesestoff aus. Weiter zugespitzt, beachten zwölf sogar nur diese Möglichkeit. 20 gehen in eine Buchhandlung und zehn berücksichtigen Downloadportale. Von öffentlichen Bibliotheken fühlen sich, zuletzt, bloß sieben überzeugt.

Sicher, die Aussagekraft ist begrenzt. Ich habe nicht mehr als 28 Buchnutzer und -nutzerinnen befragt und das vor mehreren Jahren. Eine erste Tendenz zeichnet sich durch meine Arbeit allerdings ab, nämlich: Blinde Menschen übergehen häufig Anlaufstellen, wo sich Sehende mit Literatur versorgen. Zwar würde ihnen, im Buchhandel oder bei Downloadportalen, weit mehr zur Verfügung stehen, aber genauso gibt es Hürden: dass manchmal eine Begleitperson fehlt, um in einer Buchhandlung zu stöbern. Wege, die man bewältigen müsste, sind Interessierten nicht vertraut. Oder man weiß zu wenig über technische Hilfsmittel, sodass es kaum gelingt, Bücher aus dem Internet herunterzuladen.

Stärker ins Gewicht fallen andere Bereiche. So gibt es die Onleihe – einen Service von öffentlichen Bibliotheken, digitale Medien online auszuleihen. Doch fast die Hälfte der Befragten wusste davon nichts. Außerdem wird das frei zugängliche Sortiment falsch eingeschätzt. Zum Beispiel glauben mehrere Probanden, dass sie außerhalb der Blindeninstitutionen keine Daisy-Bücher finden könnten. Überdies hält mangelnde Barrierefreiheit einige zurück. Sowohl Webseiten als auch die Inhalte von E-Books bleiben ihnen verschlossen. Audio-Books sind häufig gekürzt. Deshalb wünschen sich die Interviewten mehr Verständnis von Verlagen und Buchhandel. Eine erhöhte Sensibilität. Würden sie enger mit den Blindeninstitutionen zusammenarbeiten, könnte man Medien und Vertriebswege für diesen Kundenkreis verbessern. Auch der rechtliche Rahmen könnte gelockert werden. Als Wissenschaftlerin, aber auch als Privatperson meine ich, dass erste wichtige Schritte inzwischen vollzogen sind, aber weitere müssten folgen. In meiner Doktorarbeit habe ich festgestellt, wo die Bedürfnisse blinder Menschen liegen und welche Schwierigkeiten dieser Nutzerkreis erkennt. Meine Arbeit kann damit als richtungsweisend gelten und darauf aufbauend sollte eine zweite Studie folgen, diesmal mit deutlich mehr Befragten und thematisch stärker differenziert. Parallel dazu würde auch die andere Seite zu Wort kommen, etwa Verleger oder Buchhändler. Wie viel wissen sie von dem, was blinde Menschen brauchen, damit ihnen das öffentliche Angebot zugänglich wird? Gibt es vielleicht Vorbehalte, die man verringern könnte? Hierfür, stelle ich mir vor, ließe sich ein neuer Posten installieren. Eine Art Zentrale, die den Austausch zwischen allen Beteiligten fördert.

Dr. Daniela Preiß (34) lebt in Wunsiedel, Oberfranken.

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