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Leider geplatzt: Der süße Traum von der Mitmachdemokratie
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Der Bürgerrat für Ernährung hat medienwirksam neun tolle Reformvorschläge ausgeheckt. Aber für keinen davon interessiert sich die Bundesregierung. War ohnehin alles nur Theater, finden Kritiker. Irrtum: Die Ampel erteilte eine Lektion in puncto eigener Machtlosigkeit, meint Ralf Wurzbacher – nicht ganz ernst.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Ach, was war das für eine prächtige Idee der Bundesregierung, sogenannte Bürgerräte einzuberufen, diese quietschfidelen Denk- und Diskutierzirkel, wo ganz einfache Menschen ganz einfach Politik machen dürfen. Und was für ein kluger Schachzug – in Zeiten von Rechtsruck, Politikverdrossenheit und Demokratiemüdigkeit. „Ihr findet, wir Politiker hätten uns vom Volk entrückt, interessierten uns nicht für Eure Ängste, Sorgen und Nöte, lebten in einer Blase, abgehoben, arrogant und machtversessen. Bitte schön! Im Bürgerrat habt Ihr das Sagen, könnt Ihr schalten und walten, gleich einem Bundestag im Kleinen, aber ohne Denk- und Sprechverbote und frei von Fraktionszwängen.“
Da haben die Ampelparteien wahrhaft ganz was Tolles ausgebrütet und nicht, wie so oft, nur in den Koalitionsvertrag reingeschrieben, sondern richtig Ernst gemacht und die schönen Verheißungen von mehr „Bürgerdialog“ und „gleichberechtigter Teilhabe“ prompt in die Tat umgesetzt. Bloß schlappe 20 Monate nach der Kabinettsvereidigung war es schon so weit, da erblickte der erste parlamentarisch eingesetzte Bürgerrat das Licht der Welt – und das zu einem richtig heißen Thema. „Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben.“ Da liegt schließlich allerhand im Argen: der viele Zucker im Essen, billige Fette und Geschmacksverstärker oder diese skandalöse Lebensmittelvernichtung und Massentierhaltung, dazu das schlimme Preisdiktat der Handelsriesen.
„Rückkopplung mit den Menschen“
Ohne Frage, alles ziemlich schwer verdaulich, schon für den Normalverbraucher, und erst recht für 160 unbefleckte Politnovizen, mithin mit idealistischen Flausen im Kopf. Die legten trotzdem eifrig los, motiviert noch durch salbungsvolle Worte von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) der Sorte „frische Ansätze“, „Brücken bauen“ oder „Rückkopplung mit den Menschen“, um der „stillen Mitte“ Gehör zu verschaffen. Denn viele Abgeordnete würden deren Meinung gar nicht kennen.
Jetzt kennen sie sie beziehungsweise schon seit bald einem Jahr. Im Februar hatte die 160-köpfige Rasselbande abgeliefert, im Gepäck neun Empfehlungen, die das Zeug haben, der ganzen deutschen Fress- und Saufmisere den Garaus zu machen.
Kostprobe: „Kostenfreies Mittagessen für alle Kinder“, „Bewusstes Einkaufen leicht gemacht durch ein verpflichtendes staatliches Label“, „Verpflichtende Weitergabe von genießbaren Lebensmitteln durch den Lebensmitteleinzelhandel“, „Verbrauchsabgabe zur Förderung des Tierwohls“, „Altersgrenze für Energydrinks“ oder „Mehr Personal für Lebensmittelkontrollen und bessere Transparenz.“
Neun Vorschläge, null Bock
Hut ab! Alles wegweisende Vorschläge. Da sage noch einer, der „kleine Mann“ sei von gestern und ticke nicht fortschrittlich. Ach was! Tatsächlich wurden die Konzepte praktisch unisono als „ausgewogen, hochqualitativ, lösungsorientiert, sachlich fundiert und politisch tragfähig“ gewürdigt. Lob gab es aus den Reihen der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft, der Politik, selbst aus dem Lager der Ernährungsindustrie. Überdies war das ganze Paket im März Gegenstand einer Aussprache im Plenum des Bundestags – alle Achtung! Da fehlt nicht mehr viel zum ganz großen Wurf, außer, dass es wen geben müsste, der das alles auch durchsetzt.
An diesem Punkt hakt es irgendwie. Wie am Dienstag zuerst das Portal Table-Media (hinter Bezahlschranke) berichtete, hat die Politik inzwischen wohl ihr Interesse an den schönen Ergebnissen verloren. Zitiert wird aus einem Brief an Parlamentschefin Bas durch zwei Dutzend Ratsmitglieder. Man habe nicht erwartet, dass alles stante pedes übernommen und durchgezogen werde, heißt es darin. „Sollte jedoch keine der neuen Empfehlungen aufgegriffen und realisiert werden, so würde dies das Vertrauen in das Instrument und allgemein die Demokratie beschädigen.“
FDP macht nicht mehr mit
Das ist eine harte Ansage. Tatsächlich gab es am Montag ein öffentliches Fachgespräch des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu einem verpflichtenden und einheitlichen Label für Lebensmittel, wie es auch der Bürgerrat angeregt hatte. Dabei sei das Vorhaben auf ein „unterschiedliches Echo“ gestoßen. Allerdings steht das Thema sowieso schon auf der politischen Agenda, während die restlichen acht anderen Vorschläge in den Fachausschüssen einfach mal „keine Rolle“ spielten, wie am Mittwoch die Rheinpfalz (hinter Bezahlschranke) schrieb.
Wo gibt‘s denn so was!? War doch alles so fein ausgeklügelt und so medienwirksam lanciert. Eigens hatten die Verantwortlichen ein fettes Betreuerteam auf die Beine gestellt – eine Stabsstelle, einen Beirat, drei Beratungsfirmen, eine US-Stiftung –, damit die lieben Freidenker auch ja nicht freidrehen beim Brainstorming. Und Geld hat man sich das alles kosten lassen, im Vorjahr allein drei Millionen Euro. Sollte das alles für die Katz gewesen sein? Jedenfalls hat die FDP schon vor längerer Zeit ihre Mitarbeit bei dem Projekt eingestellt, und aus der Union mault es, Politik dürfe nicht an „herbeiquotierte Räte“ zu Lasten des Parlaments ausgelagert werden. Das immerhin klingt so, als hätten ernsthaft Sorgen bestanden, die Ampel würde sich von einem Bürgerrat irgendwie ins Handwerk pfuschen lassen.
Nestlé regiert
Das war allerdings sehr naiv. Aber dass es nur um eine Politshow geht, um Pseudopartizipation oder „simulierte Bürgerbeteiligung“, wie auch die NachDenkSeiten ätzten, ist auch nicht fair. Völlig daneben liegt Springers Welt (hinter Bezahlschranke), die meint, es handele sich „um den von der sich als Generalvollversammlung fühlenden Regierung unternommenen Versuch, ihr Partikularinteresse der Bevölkerung als Allgemeininteresse aufzunötigen“, um so „noch rabiater als vorher gegen den Souverän vorzugehen, der sie legitimiert“. Gemünzt war dies auf den von der Bertelsmann Stiftung installierten Bürgerrat „Maßnahmen gegen Desinformation“, der entsprechende Aktivitäten unter Strafe stellen will.
Apropos Fake News. Dazu gehört leider noch immer die Mär, Regierungen könnten regieren, wie sie wollen, sprich wie das Volk es will. Blödsinn, und das zu beweisen ist der tiefere Sinn der Bürgerräte. Die Ampel will den Menschen im Praxistest schlicht zur Kenntnis bringen, dass beim Politikmachen Lobbyisten die Hosen anhaben und gegen ihren Widerstand gar nichts läuft in Berlin, Brüssel und sonst wo in der freien Welt. Wenn Nestlé Millionen Kleinkindern in Deutschland den täglichen Zuckerschock verpasst, dann ist und bleibt das halt so. Aufstand zwecklos, Verbote sowieso, bessere Gesetze – keine Chance. Mit dieser bitteren Wahrheit müssen Regierende und Abgeordnete jeden Tag leben und werden dafür mit gutem Recht gut bezahlt. Insofern sind sie selbst nur arme Systemopfer und kein bisschen weniger machtlos als die Bürger im Land.
Lektion geschnallt?! Darauf ein KitKat, zum Nescafé.
Titelbild: Photo For Everything/shutterstock.com
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Der Bürgerrat für Ernährung hat medienwirksam neun tolle Reformvorschläge ausgeheckt. Aber für keinen davon interessiert sich die Bundesregierung. War ohnehin alles nur Theater, finden Kritiker. Irrtum: Die Ampel erteilte eine Lektion in puncto eigener Machtlosigkeit, meint Ralf Wurzbacher – nicht ganz ernst.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Ach, was war das für eine prächtige Idee der Bundesregierung, sogenannte Bürgerräte einzuberufen, diese quietschfidelen Denk- und Diskutierzirkel, wo ganz einfache Menschen ganz einfach Politik machen dürfen. Und was für ein kluger Schachzug – in Zeiten von Rechtsruck, Politikverdrossenheit und Demokratiemüdigkeit. „Ihr findet, wir Politiker hätten uns vom Volk entrückt, interessierten uns nicht für Eure Ängste, Sorgen und Nöte, lebten in einer Blase, abgehoben, arrogant und machtversessen. Bitte schön! Im Bürgerrat habt Ihr das Sagen, könnt Ihr schalten und walten, gleich einem Bundestag im Kleinen, aber ohne Denk- und Sprechverbote und frei von Fraktionszwängen.“
Da haben die Ampelparteien wahrhaft ganz was Tolles ausgebrütet und nicht, wie so oft, nur in den Koalitionsvertrag reingeschrieben, sondern richtig Ernst gemacht und die schönen Verheißungen von mehr „Bürgerdialog“ und „gleichberechtigter Teilhabe“ prompt in die Tat umgesetzt. Bloß schlappe 20 Monate nach der Kabinettsvereidigung war es schon so weit, da erblickte der erste parlamentarisch eingesetzte Bürgerrat das Licht der Welt – und das zu einem richtig heißen Thema. „Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben.“ Da liegt schließlich allerhand im Argen: der viele Zucker im Essen, billige Fette und Geschmacksverstärker oder diese skandalöse Lebensmittelvernichtung und Massentierhaltung, dazu das schlimme Preisdiktat der Handelsriesen.
„Rückkopplung mit den Menschen“
Ohne Frage, alles ziemlich schwer verdaulich, schon für den Normalverbraucher, und erst recht für 160 unbefleckte Politnovizen, mithin mit idealistischen Flausen im Kopf. Die legten trotzdem eifrig los, motiviert noch durch salbungsvolle Worte von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) der Sorte „frische Ansätze“, „Brücken bauen“ oder „Rückkopplung mit den Menschen“, um der „stillen Mitte“ Gehör zu verschaffen. Denn viele Abgeordnete würden deren Meinung gar nicht kennen.
Jetzt kennen sie sie beziehungsweise schon seit bald einem Jahr. Im Februar hatte die 160-köpfige Rasselbande abgeliefert, im Gepäck neun Empfehlungen, die das Zeug haben, der ganzen deutschen Fress- und Saufmisere den Garaus zu machen.
Kostprobe: „Kostenfreies Mittagessen für alle Kinder“, „Bewusstes Einkaufen leicht gemacht durch ein verpflichtendes staatliches Label“, „Verpflichtende Weitergabe von genießbaren Lebensmitteln durch den Lebensmitteleinzelhandel“, „Verbrauchsabgabe zur Förderung des Tierwohls“, „Altersgrenze für Energydrinks“ oder „Mehr Personal für Lebensmittelkontrollen und bessere Transparenz.“
Neun Vorschläge, null Bock
Hut ab! Alles wegweisende Vorschläge. Da sage noch einer, der „kleine Mann“ sei von gestern und ticke nicht fortschrittlich. Ach was! Tatsächlich wurden die Konzepte praktisch unisono als „ausgewogen, hochqualitativ, lösungsorientiert, sachlich fundiert und politisch tragfähig“ gewürdigt. Lob gab es aus den Reihen der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft, der Politik, selbst aus dem Lager der Ernährungsindustrie. Überdies war das ganze Paket im März Gegenstand einer Aussprache im Plenum des Bundestags – alle Achtung! Da fehlt nicht mehr viel zum ganz großen Wurf, außer, dass es wen geben müsste, der das alles auch durchsetzt.
An diesem Punkt hakt es irgendwie. Wie am Dienstag zuerst das Portal Table-Media (hinter Bezahlschranke) berichtete, hat die Politik inzwischen wohl ihr Interesse an den schönen Ergebnissen verloren. Zitiert wird aus einem Brief an Parlamentschefin Bas durch zwei Dutzend Ratsmitglieder. Man habe nicht erwartet, dass alles stante pedes übernommen und durchgezogen werde, heißt es darin. „Sollte jedoch keine der neuen Empfehlungen aufgegriffen und realisiert werden, so würde dies das Vertrauen in das Instrument und allgemein die Demokratie beschädigen.“
FDP macht nicht mehr mit
Das ist eine harte Ansage. Tatsächlich gab es am Montag ein öffentliches Fachgespräch des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu einem verpflichtenden und einheitlichen Label für Lebensmittel, wie es auch der Bürgerrat angeregt hatte. Dabei sei das Vorhaben auf ein „unterschiedliches Echo“ gestoßen. Allerdings steht das Thema sowieso schon auf der politischen Agenda, während die restlichen acht anderen Vorschläge in den Fachausschüssen einfach mal „keine Rolle“ spielten, wie am Mittwoch die Rheinpfalz (hinter Bezahlschranke) schrieb.
Wo gibt‘s denn so was!? War doch alles so fein ausgeklügelt und so medienwirksam lanciert. Eigens hatten die Verantwortlichen ein fettes Betreuerteam auf die Beine gestellt – eine Stabsstelle, einen Beirat, drei Beratungsfirmen, eine US-Stiftung –, damit die lieben Freidenker auch ja nicht freidrehen beim Brainstorming. Und Geld hat man sich das alles kosten lassen, im Vorjahr allein drei Millionen Euro. Sollte das alles für die Katz gewesen sein? Jedenfalls hat die FDP schon vor längerer Zeit ihre Mitarbeit bei dem Projekt eingestellt, und aus der Union mault es, Politik dürfe nicht an „herbeiquotierte Räte“ zu Lasten des Parlaments ausgelagert werden. Das immerhin klingt so, als hätten ernsthaft Sorgen bestanden, die Ampel würde sich von einem Bürgerrat irgendwie ins Handwerk pfuschen lassen.
Nestlé regiert
Das war allerdings sehr naiv. Aber dass es nur um eine Politshow geht, um Pseudopartizipation oder „simulierte Bürgerbeteiligung“, wie auch die NachDenkSeiten ätzten, ist auch nicht fair. Völlig daneben liegt Springers Welt (hinter Bezahlschranke), die meint, es handele sich „um den von der sich als Generalvollversammlung fühlenden Regierung unternommenen Versuch, ihr Partikularinteresse der Bevölkerung als Allgemeininteresse aufzunötigen“, um so „noch rabiater als vorher gegen den Souverän vorzugehen, der sie legitimiert“. Gemünzt war dies auf den von der Bertelsmann Stiftung installierten Bürgerrat „Maßnahmen gegen Desinformation“, der entsprechende Aktivitäten unter Strafe stellen will.
Apropos Fake News. Dazu gehört leider noch immer die Mär, Regierungen könnten regieren, wie sie wollen, sprich wie das Volk es will. Blödsinn, und das zu beweisen ist der tiefere Sinn der Bürgerräte. Die Ampel will den Menschen im Praxistest schlicht zur Kenntnis bringen, dass beim Politikmachen Lobbyisten die Hosen anhaben und gegen ihren Widerstand gar nichts läuft in Berlin, Brüssel und sonst wo in der freien Welt. Wenn Nestlé Millionen Kleinkindern in Deutschland den täglichen Zuckerschock verpasst, dann ist und bleibt das halt so. Aufstand zwecklos, Verbote sowieso, bessere Gesetze – keine Chance. Mit dieser bitteren Wahrheit müssen Regierende und Abgeordnete jeden Tag leben und werden dafür mit gutem Recht gut bezahlt. Insofern sind sie selbst nur arme Systemopfer und kein bisschen weniger machtlos als die Bürger im Land.
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